Lieferketten – ein Gesetz soll sie transparent und sicher machen

Die Corona-Pandemie ist offenbar ebenso ein Weckruf wie die großen Unglücke von 2012/2013 in Produktionsstätten – unter anderem in Pakistan und Bangladesh: Die Zusammenhänge in globalen Lieferketten geraten wieder verstärkt in den Fokus des Interesses. Das gilt besonders für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten in den Herstellerländern von Waren. Die Forderung nach einem Lieferkettengesetz wird lauter, erste Eckpunkte liegen vor, aber Kritiker stellen den Sinn eines solchen Unterfangens infrage und wünschen sich Unterstützung bei der Weiterführung bestehender Regulierungen. Update Februar 2021: Die Bundesregierung hat sich auf ein Lieferkettengesetz geeinigt, die Kritik – unter anderem von Greenpeace – reißt jedoch nicht ab. 

Für Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundesentwicklungsminister Gerd Müller gehört eine einheitliche Regelung in Europa, was die Rahmenbedingungen für globales Wirtschaften betrifft, zu den wichtigen Zielen während der gerade gestarteten deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Update Februar 2021: In diesem Zusammenhang wird die Einigung der Bundesregierung im Hinblick auf ein Lieferkettengesetz als Erfolg angesehen. Es noch in dieser Legislaturperiode. Dazu gibt es ein Statement von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und einen Podcast. Der Verein Greenpeace kritisiert das Gesetz als „Schwindel“.

Es geht darum, die grundlegenden Standards umzusetzen, welche die Vereinten Nationen Staaten ebenso wie Unternehmen vorschreiben – dazu gehören unter anderem die sogenannten „Kernarbeitsnormen“ der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Sie beruhen auf vier Grundprinzipien: Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen, Beseitigung der Zwangsarbeit, Abschaffung der Kinderarbeit sowie Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf. Um diese umzusetzen, hat die Bundesregierung einen Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) verabschiedet.

A+A Kongress: Strategien und Standpunkte erörtert

Die „Gute Arbeit weltweit“ stand auch beim A+A Kongress 2019 im Mittelpunkt einer Veranstaltung mit Delegationen aus den Produktionsländern. Zusammen mit Unternehmen aus Pakistan, Myanmar und Bangladesh erörterten die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und die Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS) Strategien für faire globale Lieferketten, die wirtschaftliche, politische und humanitäre Bedürfnisse vereinen. „Die Veranstaltung war so erfolgreich, weil sie in einem ehrlichen sozialen Dialog Verständnis und Vertrauen zu den Standpunkten der Beteiligten aufgebaut hat“, sagt Dr. Christian Bochmann als Co-Organisator vom Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Im Endeffekt ziehen bei globalen Lieferketten alle ethisch an einem Strang, nämlich der Vision Zero, einer Welt ohne schwere oder tödliche Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

Jetzt im Juli 2020 wurden dem Interministeriellen Ausschuss der Bundesregierung die Ergebnisse zur Umsetzung des NAP vorgestellt. 7.300 größere deutsche Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden sollten bei einem Monitoring in zwei Fragerunden offenlegen, wie sie Menschenrechte und soziale Mindeststandards in ihren Wertschöpfungsketten sicherstellen. Von den rund 2.250 Unternehmen, die in der zweiten Fragerunde befragt wurden, haben laut dem Bundesarbeitsministerium (BMAS) allerdings nur 455 Unternehmen gültige Antworten zurückgemeldet. Das Ergebnis zeigt, dass deutlich weniger als 50 Prozent ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nachkommen. In der ersten Runde des Monitorings hatten – nach zweimaliger Verlängerung und Ausweitung der Stichprobe – nur 465 von 3.300 angeschriebenen Unternehmen den Fragebogen ausgefüllt. Davon haben nur rund 18 Prozent die Vorgaben erfüllt.

Die zweite Befragungsrunde bestätigt nun diese Ergebnisse. Seitens des BMAS heißt es: „Die Gruppe der ,Erfüller‘ hat sich im Vergleich zur Unternehmensbefragung 2019 in ihrer Größenordnung nicht maßgeblich verändert. Damit wird die nötige Quote zur Erfüllung klar verfehlt.“ Die Minister Heil und Müller drückten ihre Enttäuschung aus. Hubertus Heil: „Dass Freiwilligkeit nicht ausreicht, zeigen die Ergebnisse unserer Umfrage. Wir brauchen ein nationales Gesetz, um auch für fairen Wettbewerb zu sorgen.“

Bundesregierung will Folgemaßnahmen beschließen

Die Bundesregierung will nun mögliche Folgemaßnahmen noch in dieser Legislaturperiode beraten und beschließen. In der Zwischenzeit wird ein Lieferkettengesetz intensiv diskutiert: So zählt etwa die Initiative Lieferkettengesetz bereits mehr als 200.000 Unterzeichner einer Petition. Damit soll Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert werden, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der Unternehmen verpflichtet, auch im Ausland Menschenrechte und Umweltstandards zu achten. Hinter der Initiative stehen zahlreiche Organisationen wie etwa Brot für die Welt, Greenpeace, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), aber auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Gemeinsam sind sie der Ansicht, dass Unternehmen ihrer Verantwortung nicht ausreichend nachkommen. Die Spitzenverbände der Wirtschaft stemmen sich hingegen heftig gegen ein Gesetz. „Sollte in Deutschland ein Lieferkettengesetz verabschiedet werden, würden hiesige Unternehmen im internationalen Wettbewerb benachteiligt“, warnen BDA, BDI, DIHK und ZDH in einem Brief an CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus laut einem Schreiben, das dem „Handelsblatt“ vorliegt.

Ein Lieferkettengesetz soll deutsche Firmen, die im Ausland produzieren lassen, zwingen, dort für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. So sollen Kinderarbeit unterbunden, existenzsichernde Löhne garantiert und Umweltschäden verhindert werden. Erste Eckpunkte eines solchen „Sorgfaltspflichten-Gesetzes“ wurden Ende Juni 2020 (ebenfalls durch einen Bericht des „Handelsblattes“) bekannt – laut dem Artikel sieht der Entwurf eine umfassende Sorgfaltsplicht und Sanktionen vor, beschränkt jedoch die Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, wenn Unternehmen einem staatlich anerkannten Branchenstandard beitreten und ihn implementieren. Zivilgesellschaftliche Organisationen begrüßten die Arbeit an den Eckpunkten, mahnten jedoch Nachbesserungen vor allem mit Blick auf den Vorschlag einer Haftungsbegrenzung an.

Ob das Gesetz insgesamt geeignet ist, die hochgesteckten Ziele des Nationalen Aktionsplans zu erreichen, steht allerdings noch zur Debatte. Vize-Unionsfraktionschef Hermann Gröhe macht laut einem Bericht der „Frankfurter Rundschau“ Druck und sieht sich dabei von einer Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt (lesen Sie dazu auch das Basi-Interview „Im Gespräch mit Veronika Ertl, KAS“). „Zurzeit findet die Auswertung der Unternehmensbefragung statt. Ich denke aber, dass wir ein Lieferkettengesetz brauchen, um Sorgfaltspflichten zum Schutz der Menschenrechte zu stärken“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Wir haben noch alle Chancen, das Gesetz in dieser Wahlperiode hinzubekommen. Wir sollten das also nicht in die nächsten Koalitionsverhandlungen verschieben“, erklärt der CDU-Politiker laut dem Bericht.

Initiativen für mehr Nachhaltigkeit in Lieferketten

Das Thema Nachhaltigkeit, bezogen auf gesunde und sichere Arbeitsbedingungen und Produkte, die möglichst lange halten, beschäftigt Thomas Lange schon seit mehr als zehn Jahren. Als Hauptgeschäftsführer des Modeverbandes GermanFashion gehört er zum Messebeirat der A+A, viele Mitglieder von GermanFashion stellen Schutzkleidung her und sind langjährige A+A-Aussteller. „Schon vor den Unglücken in Bangladesh und Pakistan haben deutsche Städte und Kommunen die Initiative ergriffen und fragten uns nach Arbeitsbekleidung, die unter fairen und sauberen Bedingungen hergestellt wird. Es geht bis heute darum, dass die Kernarbeitsnormen der ILO eingehalten werden sollten“, sagt Lange.

Doch der Weg zur Produktion und zum Verkauf von Schutzkleidung, die unter diesen Bedingungen hergestellt wird, erweist sich nach seinen Worten als steinig und voller Umwege: „Zunächst konnten die Kommunen solche Kleidung nicht bestellen, weil ihnen das Vergaberecht sparsames Wirtschaften auferlegte – bis eine EU-Richtlinie soziale Arbeitsbedingungen bei der Herstellung als Kriterium für den Textilienkauf zuließ. Und die Einführung eines sogenannten ,Code of Conduct‘, also von Verhaltensregeln, die nachhaltiges Einkaufen festlegen sollten, kam vor einigen Jahren nicht zustande. Dafür wurde das Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet.“ Das Bündnis hat sich zum Ziel gesetzt, die Bedingungen in der weltweiten Textilproduktion zu verbessern – von der Rohstoffproduktion bis zur Entsorgung. Dies geschieht durch gemeinsame Projekte vor Ort. Jedes Mitglied soll individuell Verantwortung übernehmen.
„Das fordert auch der Markt“, bekräftigt Thomas Lange. „Die Unternehmen der Arbeits- und Berufsbekleidung achten sehr auf die Einhaltung der ILO-Arbeitsnormen und sind häufig Mitglied im Bündnis für nachhaltige Textilien oder gehörten bereits vorher der Fair Wear Foundation an.“ Dieses Engagement sieht Lange bei vielen seiner Mitgliedsfirmen – im Rahmen ihrer Möglichkeiten als Familienbetriebe. „Bei uns findet man ja nicht die Großformen des Handels. Die vergeben in Ländern wie Vietnam, Kambodscha oder Pakistan große Aufträge. Die mittelständische Bekleidungsindustrie hingegen – also unsere Mitglieder – pflegt in der Regel enge und langfristige Beziehungen zu ihren Lieferanten.“ Darin und in größtmöglicher Transparenz innerhalb der Lieferketten sieht Lange auch einen Schlüssel zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Unterstützend können seiner Ansicht nach Initiativen wie die Fair Wear Foundation und die Business Social Compliance Initiative (BSCI) wirken. Mitglieder der BSCI verpflichten sich zur Anwendung eines bestimmten Verhaltenskodexes in ihrer Lieferkette. Die Lieferanten werden mindestens alle zwei Jahre durch unabhängige Prüforganisationen kontrolliert. Projekte wie der Grüne Knopf (staatliches Siegel für nachhaltige Textilien) sieht Lange kritisch: „Ein solches Meta-Siegel schränkt Unternehmen durch zu viel Bürokratie ein und man muss sich die Frage stellen, ob es zur Markenbildung passt.“

Kontrollierte Umsetzung als große Herausforderung

Im Hinblick auf ein Lieferkettengesetz möchte sich Lange erst äußern, wenn ein Entwurf vorliegt. Auch die Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) hat für diesen Fall ein Statement aus ihren Reihen angekündigt. Thomas Lange will vor allem darauf achten, dass mittelständische Unternehmen durch ein Gesetz nicht belastet werden. Unabhängig davon zweifelt er, dass eine nationale Regulierung international wirksam sein kann. Eher gehe es darum, die bestehenden Initiativen zu stärken und zu überlegen, was zum Beispiel das Textilbündnis noch mehr bewirken kann. Auch geht es nach Langes Meinung darum, die Umsetzung der ILO-Arbeitsstandards durch Audits besser zu kontrollieren. Dass das eine Herkulesaufgabe ist, liegt für den Experten auf der Hand: „Einen wesentlichen Grund dafür stellt die Vielschichtigkeit der Betriebe dar. Die Konfektionierung, also das Zusammennähen der Kleidung, lässt sich ja noch recht leicht überwachen. Doch woher kommt die Baumwolle, das Gewebe? Woher stammen die Knöpfe? Wo werden die Jeans gewaschen und gelöchert?“ Die gewünschte Transparenz in der Lieferkette ist auf einem guten Weg – auch wenn für die Nachvollziehbarkeit bestenfalls die Anzahl der Vorlieferanten überschaubar bleiben sollte, meint Thomas Lange.

Wie sich Lieferketten transparent organisieren lassen, damit die Arbeitsbedingungen menschengerecht werden, darüber diskutieren Experten beim A+A Kongress 2021. Save the date: 26. – 29. Oktober 2021 in Düsseldorf.