Im Gespräch

„Ein deutsches Gesetz kann Vorbildfunktion haben“

Eine aktuelle Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) beschäftigt sich mit der Frage einer gesetzlichen Regulierung unternehmerischer Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten. Veronika Ertl, Referentin für Entwicklungspolitik bei der KAS, erklärt im Basi-Interview, welche Möglichkeit zur Regulierung von Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltschutzbestimmungen besteht und warum ein entsprechendes Gesetz aus christdemokratischer Sicht eine denkbare Maßnahme wäre. Sie zeigt auch Verständnis für berechtigte Einsprüche vonseiten der Wirtschaft. Update Februar 2021: Die Bundesregierung hat sich auf ein Lieferkettengesetz geeinigt, die Kritik – unter anderem von Greenpeace – reißt jedoch nicht ab. 

Sie haben eine Analyse zur Nachhaltigkeit in globalen Lieferketten (mit-) verfasst. Was ist das Ziel dieser Analyse?

Das Thema Nachhaltigkeit in globalen Lieferketten polarisiert und wird nicht immer sachlich diskutiert. Dies haben wir seitens der Konrad-Adenauer-Stiftung beobachtet und wollen mit unserer Analyse Pro- ebenso wie Contra-Argumente für eine sinnvolle Debatte liefern. Dazu sehe ich jetzt auch tatsächlich eine Tendenz – indem darüber gesprochen wird, wie ein mögliches Gesetz inhaltlich sinnvoll gestaltet werden könnte. Wichtig ist in dieser Diskussion was wir als Stiftung im Kontext Nachhaltigkeit auch immer wieder betonen: Es müssen sowohl soziale, ökologische als auch wirtschaftliche Aspekte der Nachhaltigkeit betrachtet werden.

Warum muss eine gesetzliche Verpflichtung zur Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards in globalen Lieferketten überhaupt diskutiert werden?

Grundsätzlich ist eine globale Arbeitsteilung in Lieferketten positiv zu betrachten – auch für Entwicklungsländer. Dadurch sind sie an der Weltwirtschaft beteiligt und es werden vor Ort Arbeitsplätze geschaffen. Allerdings entsteht in Lieferketten schnell eine Intransparenz und vor allem in Entwicklungsländern werden Umwelt- und Arbeitsschutzstandards oft nicht eingehalten bzw. kontrolliert wie etwa hier in Deutschland. Wir sprechen hier von den Basisbedingungen, also z. B. den Standards der Arbeitsorganisation ILO. Daher ist es wichtig, dass sich Staaten in dieser Hinsicht weiterentwickeln. Das gilt aber auch für die Unternehmen, die laut den UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte und dem entsprechenden Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung in die Pflicht genommen werden. Die Frage ist nur, ob sie diese Empfehlungen umsetzen. Das wird die zweite Befragungsrunde beim Monitoring der Bundesregierung offenbaren. In der ersten Runde hat sich herausgestellt, dass bisher nur etwa 17 bis 19 Prozent der Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten erfüllen. Wenn wir bei der zweiten Runde nicht auf 50 Prozent kommen, sehen der Aktionsplan und der Koalitionsvertrag vor, dass eine gesetzliche Regulierung vorangetrieben wird.

Inwieweit hat die aktuelle Pandemie die Wahrnehmung der Lieferketten und der damit verbundenen Probleme verändert?

In der Pandemie hat sich noch einmal deutlich erwiesen, wie verzweigt, komplex und unübersichtlich viele Lieferketten sind. Plötzlich waren Dinge, etwa Mund-Nasen-Schutzmasken, nicht mehr verfügbar, die wir vorher für selbstverständlich erhältlich hielten. Wir haben gemerkt, welches Risiko dieser Zustand birgt. Je transparenter und nachhaltiger Lieferketten sind, desto sicherer sind sie. Und desto besser ist man auf eine mögliche Krise vorbereitet. Weil man weiß, wer die Lieferanten sind und wo die Lieferanten sitzen. Deshalb gilt es, bestehende Lieferketten widerstandsfähiger zu machen.

Welche Argumente sprechen für ein Gesetz, welche dagegen?

Ich sehe uns in der christdemokratischen Verantwortung, die Menschenwürde und die Umwelt zu schützen – auch im Hinblick auf kommende Generationen. Die Wirtschaft ist ebenso für das Gemeinwohl verantwortlich und diese Verpflichtung macht an Grenzen nicht halt. Das wäre ein Argument für ein Gesetz – die soziale Marktwirtschaft kann hierfür einen Rahmen bieten. Dagegen spricht ein möglicher Wettbewerbsnachteil für Unternehmen, da sie in eine vertiefte Risiko-Analyse, Abhilfemaßnahmen und einen Beschwerdemechanismus investieren müssten. Diese Mehrkosten zahlen allerdings andere Firmen schon, die sich bereits auf den Weg zu mehr Nachhaltigkeit gemacht haben.

Es scheint derzeit so, dass ein deutsches Gesetz einen Schritt zu einer EU-Regulierung darstellt. Das ist für Deutschland eine große Chance, dieses während der Ratspräsidentschaft voranzutreiben und so zu gestalten, dass der Schutz von Menschenrechten gesichert und gleichzeitig für Unternehmen umsetzbar ist. Auf deutscher Ebene steht die Regierung unter einem gewissen Zeitdruck, denn im Herbst 2021 stehen Bundestagswahlen an. Auf EU-Ebene hat der Justizkommissar einen Gesetzesentwurf bis spätestens November 2021 angekündigt.

Auf welche Weise kann ein Gesetz dabei helfen, langfristig für gesunde und sichere Arbeitsbedingungen in Produktionsländern wie z. B. Bangladesch oder Kambodscha zu sorgen?  Was sind aus Ihrer Sicht wesentliche Bedingungen?

Ein Gesetz ist kein Allheilmittel, das möchte ich vorausschicken. Aber je mehr Unternehmen entsprechende Standards umsetzen und deren Einhaltung auch kontrollieren – indem sie etwa mehr Transparenz und bessere Arbeitsbedingungen schaffen – desto wahrscheinlicher ist es, dass die Standards durchgehend und nicht nur vereinzelt von einigen Firmen berücksichtigt werden. Dabei stellt ein Gesetz ein Druckmittel dar und die kombinierte Marktmacht der von der Regulierung betroffenen Unternehmen kann einen Hebel für die Umsetzung bilden. Dass sich die Standards vor Ort auch durchsetzen, dafür sind dann nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Staaten und nicht zuletzt ebenfalls die Verbraucher verantwortlich, die verantwortungsbewusst einkaufen.

Ist es auch ohne gesetzliche Regelung möglich, die Arbeitsbedingungen zu verbessern?

Grundsätzlich ja – und das Bündnis für nachhaltige Textilien ist dafür ein prominentes Beispiel. Aber es gibt eben auch die Firmen, die ihre Verantwortung nicht ernst nehmen oder das Thema aufschieben, weil es für sie keine Priorität hat. Manche wissen auch nicht, wie sie die Arbeitsbedingungen verbessern können. Hier kann ein Gesetz mit seinen Anforderungen einen klaren Rahmen schaffen. Um in dem Zuge keine neuen Rechtsunsicherheiten zu erzeugen, müssen die Anforderungen an Unternehmen klar und unmissverständlich definiert sein.

Muss eine Regulierung nicht international erfolgen, damit deutsche Unternehmen keine Nachteile im Wettbewerb haben?

Die Zielmarke ist eine internationale Regulierung, um genau solche Wettbewerbsnachteile zu verhindern. Ein deutsches Gesetz kann aber eine Vorbildfunktion haben und zum Beispiel aufzeigen, wie angemessen reguliert werden könnte. Das bedeutet aber auch, dass keine Regelungen festgeschrieben werden, die für alle Unternehmen gleich gelten. Denn alle haben unterschiedliche Risikofaktoren und Einflussmöglichkeiten – und diese sollten sich entsprechend in den Anforderungen an ihre Sorgfaltspflicht widerspiegeln. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass andere Staaten wie etwa Frankreich, die Niederlande oder Großbritannien bereits Gesetze zur Sorgfaltspflicht haben. Das ist also kein deutscher Alleingang. Französische Unternehmer sind innerhalb der Lieferketten bereits jetzt stärker reglementiert als deutsche.

Lässt sich ein deutsches Gesetz überhaupt international vollziehen?

Dabei muss man natürlich auf Stolperfallen achten und juristische Detailfragen klären. Gutachten zeigen jedoch, dass das grundsätzlich möglich ist.

Wie können bestehende Initiativen von Unternehmen (z. B. im Bündnis für nachhaltige Textilien) bei einer gesetzlichen Regulierung einbezogen werden?

Es ist ganz wichtig, solche Brancheninitiativen und ihre Erfahrungen einzubeziehen. Sie kennen sich mit den Standards aus und können bei der Formulierung sowie der Ausgestaltung eines Gesetzes helfen. Die Fortschritte, die Unternehmen in diesen Initiativen bereits gemacht haben, müssen entsprechend anerkannt werden. Und sie sind wichtige Anlaufstellen für Unternehmen, um bei der konkreten Umsetzung der Sorgfaltspflicht zu unterstützen.

Was halten Sie von Initiativen wie Lieferkettengesetz?

Wir haben in Deutschland erfreulicherweise ein großes zivilgesellschaftliches Engagement, wie sich an solchen Initiativen und ihren erfolgreichen Unterschriftensammlungen für Petitionen zeigt. Das bringt die Politik ja auch oftmals dazu, zu handeln. Und die Initiative Lieferkettengesetz liefert zudem inhaltliche Argumente, sie hat zum Beispiel ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben.

Auf welche Weise können Verbraucher die Bestrebungen nach guten Arbeitsbedingungen innerhalb der Lieferketten unterstützen?

Verbraucher können durch ihre Kaufentscheidungen einen Einfluss auf Entscheidungen von Unternehmen zu ihren Produktionsweisen haben. Die Verbraucher brauchen für solche informierten Kaufentscheidungen aber Transparenz. Der Informationsfluss ist noch verbesserungsbedürftig. So gibt es zum Beispiel eine Flut von Siegeln für Textilien, und es fällt schwer zu entscheiden, welche davon vertrauenswürdig sind. Und nicht jeder wird sich die öffentlich zugänglichen Berichte durchlesen, die es infolge einer gesetzlichen Regelung der Sorgfaltspflicht geben kann.

Wie können die Arbeitsbedingungen in Produktionsländern kontrolliert und Verstöße gegen Regulierungen sanktioniert werden? Gibt es dafür hilfreiche Innovationen?

Das ist einer der schwierigsten Aspekte überhaupt. Denn vor Ort in den Produktionsländern fehlen dafür oft die Kapazitäten, außerdem existiert dort nicht selten Korruption. Daher muss man mehrgleisig fahren, denke ich. Also zum einen Kapazitäten zusammen mit anderen Ländern auf- oder ausbauen. Und die Umsetzung der Standards bei Zulieferern konsequent einfordern. Eine 100-prozentig saubere Lieferkette wird es wohl nicht geben, aber wir können uns auf den Weg machen. Eine hilfreiche Innovation kann dabei die sogenannte Blockchain-Technologie darstellen. In ersten Versuchen hat sich gezeigt, dass sich dadurch zum Beispiel nachverfolgen lässt, woher die seltenen Mineralien stammen, die für das Herstellen von Handys verwendet werden. Wenn man weiß, dass sie aus einer Mine geliefert werden, in der Kinder arbeiten, kann dieses Prozedere im Sinne der Menschenrechte boykottiert werden.