Im Gespräch
Die Arbeitswelt und Corona – wie wir die Folgen bewältigen können
Die Pandemie wirkt sich für jeden unterschiedlich aus, je nachdem, wo und wie er beschäftigt ist. Professor Nico Dragano von der Düsseldorfer Uniklinik untersucht mit seinem Team die Auswirkungen von Corona und erläutert im Basi-Interview, wie sie bewältigt werden können und was das für den 37. Internationalen A+A Kongress 2021 bedeutet. Professor Dragano lehrt medizinische Soziologie und zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen psychosoziale Risikofaktoren am Arbeitsplatz.
Wie wird die Pandemie die Arbeitswelt auf Dauer verändern?
Das ist schwer, pauschal zu beantworten – es kommt auf den Job an und auf die Branche, in der die betreffenden Menschen beschäftigt sind. Für manche hat sich ja bisher nicht viel verändert, denken wir etwa an die Arbeiterinnen und Arbeiter in bestimmten produzierenden Gewerben. Zahlreiche Firmen arbeiten wieder annähernd normal. Andere Arbeitnehmer müssen hingegen um ihre Stelle bangen. Die Forschung in diesem Bereich ist dynamisch, weil sich ständig etwas ändert, so dass wir bis jetzt auf wenige Daten zurückgreifen können. Allerdings lassen sich Trends erkennen und wir können damit rechnen, dass sich manches nach der Pandemie etablieren wird. Das gilt in vielen Berufen etwa für das mobile Arbeiten im Homeoffice und auch für die Tatsache, dass künftig weniger dienstlich gereist wird.
Welche Trends sind erkennbar?
Menschen, die beispielsweise in der Gastronomie, im Kultur- oder Veranstaltungsbereich oder in der Reisebranche arbeiten, müssen häufig Kurzarbeit machen, fürchten Arbeitslosigkeit, zumindest aber Lohneinbußen oder – das gilt für viele Selbstständige – einen Umsatzeinbruch. Das alles sind arbeitsbezogene Stressoren, die einen Anstieg psychischer Erkrankungen und depressiver Symptome befürchten lassen. Auch körperliche Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Krankheiten können daraus resultieren. Die zweite große Gruppe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von der Pandemie betroffen ist, sitzt überwiegend im Homeoffice.
Was sind Vor- und Nachteile der Arbeit im Homeoffice?
Die Menschen müssen sich meist ad hoc mit starken digitalen Veränderungen auseinandersetzen – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen von Techno-Stress. Unter Hochdruck und ohne die passenden Rahmenbedingungen werden neue Technologien eingeführt. Hinzu kommt die Doppelbelastung derjenigen, die sich parallel um ihre Familie kümmern. Erste Daten einer EU-weiten Befragung zeigen, dass sie häufig mit schlechtem Gewissen kämpfen. Sie glauben, sich zu wenig dem Job widmen zu können, aber gleichzeitig auch nicht genügend Zeit für die Familie zu haben. Hinzu kommt das Phänomen der sogenannten Entgrenzung: Die Arbeit scheint nicht aufzuhören. Jedoch ist diese Telearbeit nicht grundsätzlich negativ zu beurteilen, sondern kann auch entlastend wirken: Für viele Beschäftigte entfällt etwa das Pendeln oder sie können flexibler ihre Aufgaben erfüllen.
Aber ist es nicht so, dass sich die Arbeit zu Hause verdichtet – z. B. durch viele Onlinemeetings sowie durch die fehlende, entschleunigende Reisezeit?
Das gilt tatsächlich auch für diejenigen, die im Büro intensiv digital arbeiten. Dazu haben wir schon einige Jahre alte Studien vorliegen, die zeigen, dass manche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter es schnell als anstrengend – sozusagen als „Techno Overload“ – empfinden, wenn die Kommunikation nur noch digital läuft. Das scheint auf den ersten Blick eine Erleichterung zu sein. Aber schnell bilden sich Normen heraus – man ist beispielsweise ständig erreichbar und kann jederzeit auch spontan in ein Meeting einbezogen werden.
Pflegerinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte oder Beschäftigte in Gesundheitsämtern, kämpfen derzeit mit ähnlichen und dennoch ganz anderen Problemen …
Ja, damit kommen wir zu dem Phänomen, dass Beschäftigte z. B. in Gesundheitsberufen, im Handel oder in der Verwaltung, etwa im Gesundheitsamt, aber auch in der Gesundheitswissenschaft oft fast rund um die Uhr arbeiten. Der Job stresst – und hinzu kommt die Angst vor einer Infektion.
Das beschäftigt uns ja alle …
So ist es, und dazu gibt es Studienergebnisse von 2003 aus der Zeit der damaligen SARS-Epidemie, dass selbst erfahrenes Krankenhauspersonal von Angststörungen und depressiven Symptomen berichtet. Heute sind alle Menschen unsicher, wie sie einander begegnen sollen und ob sie sich dabei infizieren können.
Was muss geschehen, damit wir unsere Ängste in den Griff bekommen?
Im Hinblick auf die Bewältigung dieser Ängste am Arbeitsplatz sind Firmenleitungen ebenso gefragt wie die Politik. Natürlich müssen vor allem Jobs gesichert und Einkommensverluste ausgeglichen werden. Das geschieht ja zum Teil durch Unterstützungsangebote seitens der Politik. Gleichzeitig müssen Betriebe klare Regeln und Vorgaben aufstellen. Berufsgenossenschaften, Kammern oder die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) bieten dafür Unterstützung an. Die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel ist ebenfalls eine gute Anleitung, um zu handeln. Sie beschreibt unter anderem den Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse, die der Arbeitgeber während der Epidemie berücksichtigen muss. Das Kompetenznetzwerk Public Health zu Covid-19, dem ich angehöre, hat dazu ebenfalls eine Handreichung erstellt. Wir empfehlen eine anlassbezogene Gefährdungsbeurteilung nach dem deutschen Arbeitsschutzgesetz bzw. einer Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastungen, aus der sich je nach Situation passende Maßnahmen ableiten lassen (siehe auch Info unter diesem Interview).
Wie kann der A+A Kongress 2021 dazu beitragen, die Folgen der Pandemie zu bewältigen und uns für kommende, ähnliche Herausforderungen zu rüsten?
Wir alle hoffen ja, dass Ende Oktober 2021 das Schlimmste vorbei sein wird. Aus meiner Sicht ein guter Zeitpunkt, um die Erfahrungen Revue passieren zu lassen und die Kernprobleme des Arbeitsschutzes in den Blick zu nehmen. Für mich ist jetzt schon klar, dass die Pandemie die Spaltung der arbeitenden Bevölkerung im Hinblick auf gute, gesunde Arbeitsbedingungen erst recht sichtbar gemacht hat. Vor allem die Probleme von Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen – etwa Lieferantinnen und Lieferanten, Lageristinnen und Lageristen oder Menschen mit Migrationshintergrund mit unsicherer Anstellung – werden nicht ausreichend geschützt. Darauf sollte sich meiner Ansicht nach der Arbeitsschutz konzentrieren, denn im Vergleich dazu können sich Festangestellte im Homeoffice bei allen genannten Schwierigkeiten dennoch als privilegiert betrachten.
Was können Führungskräfte in Betrieben jetzt bereits tun?
Niemand erwartet von ihnen, dass sie Psychologen sind. Oft reicht es, wenn sie die Sorgen und Nöte der Beschäftigten ernst nehmen, erreichbar sind und reagieren, wo es geht – und natürlich eine Gefährdungsbeurteilung durchführen. In dieser Zeit hat aber niemand das perfekte System, psychischen Belastungen und Gesundheitsgefahren zu begegnen. Vielleicht können schon niederschwellige Angebote Wirkung zeigen, wie zum Beispiel eine Mittagspause, in der alle Beschäftigten im Homeoffice sich am Bildschirm treffen, um nicht sozial isoliert zu sein. Eventuell lädt man mal einen Referenten für ein solches Onlinetreffen ein, dessen Vortrag für Gesprächsstoff sorgt.
Gibt es noch andere Ideen, wie Führungskräfte ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter z. B. dazu bringen können, Pausen einzuhalten? Oder wie sie psychische Belastungen erkennen und Hilfe anbieten können?
Führungskräfte gestalten ja die digitale Arbeit – das heißt, sie haben auch Einfluss darauf, ob und wie digitaler Stress oder psychische Belastungen dadurch entstehen. Es gilt, klare Regeln zu erstellen, wie und vor allem wie lange man im Homeoffice arbeiten soll. Wann Mails beantwortet werden müssen und wann nicht, und unter welchen Umständen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Konferenzen teilnehmen sollen. Technischer Support, den die Firma bereitstellt, kann ebenfalls Stress durch die digitalen Herausforderungen bei den Beschäftigten verhindern helfen. Insgesamt wird uns die Suche nach Lösungen für die psychischen Folgen der Pandemie am Arbeitsplatz noch lange beschäftigen.
Info
Mehr Informationen zur Sars CoV-2-Arbeitsschutzregel gibt es bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA).
Das Kompetenznetz Public Health zu COVID-19 ist ein Ad-hoc-Zusammenschluss von über 30 wissenschaftlichen Fachgesellschaften aus dem Bereich Public Health, die ihre methodische, epidemiologische, statistische, sozialwissenschaftliche und (bevölkerungs-)medizinische Fachkenntnis bündeln. Ziel ist es, schnell und flexibel interdisziplinäre Expertise zu COVID-19 für die aktuelle Diskussion und Entscheidungsfindung zur Verfügung zu stellen.