Zu wenig Bewegung, schlechter Schlaf: So schwierig ist das Studieren während der Pandemie
Überforderte Erstsemester, gestresste Doktorandinnen und Doktoranden: Die Pandemie hat bei den Studierenden in Deutschland gesundheitliche Spuren hinterlassen. Das zeigt eine aktuelle Analyse von Prof. Dr. Manfred Betz, für die er mit seiner Co-Referentin Johanna Vogt (Leiterin des Studentischen Gesundheitsmanagement) mehr als 3000 Studierende der Technischen Hochschule (TH) Mittelhessen in Gießen und Friedberg befragt hat. Sein Fazit: Die Umstellung auf digitale Wissensvermittlung hat zwar Vorteile für die Zukunft gebracht, doch nicht alle Aspekte können über den Bildschirm transportiert werden. Auch andere Hochschulen wie die Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität haben die Probleme der Studierenden erkannt und bieten Unterstützung an. Zugleich hoffen alle Lehrenden und Lernenden, dass spätestens ab dem Herbst 2021 wieder Vorlesungen mit Zuhörern vor Ort in den Hochschulen möglich sein werden.
Als es aufgrund der Pandemie Ende März 2020 zum bundesweiten Lockdown kam, startete Professor Manfred Betz mit den Studierenden seines Fachbereichs Gesundheit verspätete in das Sommersemester in Hessen. Betz: „Erstmals sind alle Veranstaltungen online durchgeführt worden, auch im folgenden Wintersemester. Dies erfordert von allen Beteiligten eine außerordentliche Flexibilität.“ Um die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Lebens- und Arbeitswelt von Studierenden zu erfassen, untersuchte er folgende Fragen:
1. Welche Veränderungen im Privat- und Arbeitsleben treten auf?
2. Welche spezifischen Belastungen treten auf?
3. Wie wirken sich die Veränderungen auf den Gesundheitszustand und das Gesundheitsverhalten aus?
Um zu Ergebnissen zu kommen wurden neun Monate nach Beginn der Pandemie 3046 Studierende (57 Prozent Männer, 43 Prozent Frauen) online zu den Auswirkungen auf Studium, Arbeit und Privatleben befragt. Dabei ging es um ihren Gesundheitszustand, um ihr Gesundheitsverhalten und ihre Belastungen
Ein Überblick über die Ergebnisse der Befragung:
• Für 55 Prozent der Teilnehmer bedeuten die Online-Semester einen deutlich erhöhten Arbeitsaufwand, 49 Prozent geben einen höheren Aufwand für Prüfungen an. 55 Prozent beklagen eine niedrige Motivation. Insgesamt wird das digitale Semester als belastender empfunden als Präsenzveranstaltungen. Im Home-Office fehlen vor allem die sozialen Kontakte (82 Prozent).
• Bei vielen Studierenden wirkt sich der Lockdown ungünstig auf die Lebenssituation aus, andere werten die damit einhergehende Entschleunigung auch positiv. Entsprechend berichten 67 Prozent, sich weniger zu bewegen, 50 Prozent schlafen schlechter und 35 Prozent ernähren sich schlechter. Beim Stress, Suchtmittelkonsum und Tageslicht überwiegen die negativen Effekte deutlich.
• Defizite beim Wohlbefinden nehmen im Vergleich zu der Zeit vor dem Lockdown deutlich zu. 63 Prozent fühlen sich teilweise emotional und 53 Prozent körperlich erschöpft. Dies zeigt sich auch darin, dass gesundheitliche Beschwerden zunehmen: Mehr als jeder Zweite gibt an mehr Rückenschmerzen (54 Prozent), Kopfschmerzen (53 Prozent) und Schlafstörungen (52 Prozent) zu haben als vor der Pandemie. Schlussfolgerungen Je nach individuellen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen hat der Lockdown für manche Studierende positive, für andere negative Auswirkungen. Insgesamt überwiegen allerdings die negativen Auswirkungen deutlich.
Besondere Angebote für die „Erstis“
Professor Manfred Betz beobachtet vor allem, dass die Erstsemester überfordert sind, weil sie sich nicht richtig in der neuen Umgebung vernetzen können: „Das Kennenlernen vor Ort, zum Beispiel in der Mensa oder im Hörsaal, fehlt. Hinzu kommt, dass offizielle Stellen wie etwa das Dekanat nur schriftlich erreichbar sind.“ Die TH Mittelhessen entschied sich, Kontaktpersonen zu benennen und Kennenlern-Angebote für kleine Gruppen zu organisieren. Auch an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität (HHU) wurde in den Beratungsstellen ein ungewöhnlich großer Beratungsbedarf der Erstsemester festgestellt. Carolin Grape von der Stabsstelle Presse und Kommunikation: „In der Zeit vor Corona haben die meisten zunächst mal ihr Studium begonnen und suchten dann studentische Beratung. Als Reaktion haben wir neben den etablierten Hilfsangeboten kürzlich eine ,Ersti-App‘ entwickelt, die spezifische Tipps gibt und Ansprechpartner schnell auffindbar macht.“
Allen Studierenden will man in Düsseldorf mit einem erweiterten Angebot des Studierenden Service Centers (SSC) entgegenkommen, das den Hilfesuchenden sowohl digital als auch telefonisch und in Präsenz vor Ort Hilfe anbietet. Hinzu kommen Angebote einer individuellen psychologischen Beratung. Die Universitäts- und Landesbibliothek bleibt überwiegend geöffnet und bietet so viel Service an, wie es die jeweils aktuelle Infektions- und Verordnungslage zulässt. Für Studienanfänger, aber auch für Studierende in höheren Semestern und Studieninteressierte im Onlinesemester, bietet die HHU Leitfäden, Tutorials und ähnliches zur Förderung von digitalen Kompetenzen an. Dabei handelt es sich sowohl um technische Hilfe und Anleitung bei Fragen der Verwendung der Softwareplattformen, als auch um Beratungsangebote bei Schwierigkeiten mit der veränderten Lern- und Selbstorganisation und ebenso um finanzielle Hilfen.
Professor Betz von der TH Mittelhessen beobachtet unterdessen, dass die Umstellung auf digitale Lehr- und Lernformen im Großen und Ganzen gut klappt: „Dadurch werden auch andere didaktische Ansätze wie etwa digitale Abstimmungen möglich. Ich denke, dass große Vorlesungen künftig digital angeboten werden, wenn für die vielen Interessenten kein passend großer Raum gefunden wird.“ Allerdings gehören für ihn zur Vermittlung von Gesundheits-Themen
Gefühle und eine Gruppendynamik, die über den Bildschirm nicht transportiert werden können – dafür müssen Studierende und Professoren wieder zusammenkommen. Im Herbst 2021 könnte dies möglich werden, Nordrhein-Westfalen diskutiert eine Öffnung der Hochschulen bereits im Laufe des Juni 2021.
Mehr über die Analysen von Professor Manfred Betz erfahren Sie auf den Webseiten der TH Mittelhessen (ab 8. Juni 2021 abends).