Im Gespräch:

Weltfrauentag: Arbeitsschutz für Frauen wirksam und passgenau!

Wann werden endlich die konkreten Bedürfnisse von Frauen beim Arbeitsschutz ganz normal berücksichtigt, wie es auch in den klassischen Männerbranchen oder im Hinblick auf ältere Arbeitnehmer geschieht? Diese Frage stellte Marianne Weg gleich zu Beginn im Interview zum Weltfrauentag 2017. Sie ist Volkswirtin und arbeitete langjährig als Leiterin der Arbeitsschutzabteilung im Hessischen Sozialministerium. 2010/2012 leitete sie eine Arbeitsgruppe der Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen der Länder (GFMK) und verfasste zwei Berichte zu Grundlagen für geschlechtergerechten Arbeits- und Gesundheitsschutz. Heute publiziert sie Fachbeiträge und berät Gewerkschaften und Institutionen zu diesen Themen.

 

Wie wirkt sich die Digitalisierung in Zeiten von „Arbeiten 4.0“ bei Frauen im Job aus?

Die aktuelle Debatte und auch das Weißbuch „Arbeiten 4.0“ zeigen, dass nicht mehr nur die Industrie 4.0 in den Blick genommen wird, was eine Zeitlang der Fall war. Denn vor allem im Dienstleistungssektor ändert sich viel und dort sind traditionell viele Frauen beschäftigt. Zwei Beispiele dazu: Heute bekommen Pflegekräfte nicht nur Patienteninformationen auf ihr Smartphone geschickt, sondern bei voller Nutzung der Digitalisierung auch die Vorgaben, wie viel Zeit sie sich für die einzelne Pflegetätigkeit nehmen dürfen. Es geht um Effizienz, aber auf diese Weise wird auch Druck aufgebaut. Das wirkt psychisch belastend für die Pflegekraft und man kann sich vorstellen, was es bedeutet, wenn etwa das Baden gebrechlicher Menschen sozusagen mit der Stoppuhr geschieht.

Digitalisierung gibt neue Möglichkeiten der Arbeitsgestaltung und -organisation: positive und negative. Bei frauendominierter Sachbearbeitung, wie z.B. bei der Bearbeitung von Kundenanfragen oder Schadensfällen einer Versicherung, kann das Aufgabenspektrum verkleinert und quasi tailoristisch eiffizienter gestaltet werden. Dann kommt es zu einem „Downgrading“ durch den digitalen Fortschritt: Arbeiten auf einem engeren Qualifikationslevel, monotoner, dafür mit höherem Leistungsdruck. Das erhöht ganz klar die psychischen Belastungen, wie der Stressreport 2012 der BAuA nachgewiesen hat.

 

Es gibt doch auch Vorteile durch die Möglichkeit, flexibel zu arbeiten – kommt das nicht gerade Frauen zugute, die sich um ihre Familie kümmern?

Natürlich, denn Frauen mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen brauchen familiengerechte Arbeitszeitspielräume und die Möglichkeit einer zeitweiligen Tätigkeit im Home Office hilft ihnen enorm. Ich sehe hier aber den Arbeitsschutz in der Pflicht: Wir müssen überlegen, was es bedeutet, wenn die Gestaltung der Arbeit tatsächlich – oder auch vermeintlich – in die freie Entscheidung der Beschäftigten übergeht. Vor allem die jüngeren mögen zunächst nicht wahrnehmen, welche Belastung mittel- und langfristig davon ausgehen kann, wenn man mit eigenen technischen Geräten zum Teil bis mitten in die Nacht jobbt. Sie schätzen die Möglichkeit, noch Arbeit erledigen zu können, sobald die Kinder eingeschlafen sind. Doch die Frage ist: Wer macht für diese Arbeitssituation eine Gefährdungsbeurteilung? Wer schaut darauf, dass die Arbeitszeiten und die Pausen eingehalten werden und der Arbeitsplatz ergonomisch gestaltet ist? Chancen und Risiken der Digitalisierung für gesunde und sichere, menschengerechte Arbeit müssen differenziert betrachtet werden: Der Arbeitsschutz muss sich systematisch damit auseinandersetzen, wo in ganz neuer Weise Schutzbedarf entsteht und mit Gefährdungsbeurteilungen und passenden Schutzmaßnahmen aufgegriffen werden muss. Wobei Aufklärung und Unterweisung besonders notwendig sind, weil wir über die Auswirkungen von Digitalisierung auf unsere Arbeitssituation noch zu wenig wissen, um sicher damit umgehen zu können – auch was unsere Gesundheit betrifft. Das gilt natürlich nicht nur für Frauen, sondern für alle Gruppen, vielleicht in spezieller Weise auch für ältere Mitarbeiter in der Belegschaft, deren Lebensverlauf nicht so von der Digiatlisierung geprägt ist wie es bei den digital kids der Fall ist.

 

Welche Bereiche, in denen viele Frauen beschäftigt sind, bedürfen aus Ihrer Sicht besonderer Aufmerksamkeit?

Da würden mir zunächst nach wie vor die klassischen Frauenbereiche einfallen, in denen die Arbeit stressig und niedrig entlohnt ist: die Nahrungsmittelindustrie, die in feinmechanischen und elektrotechnischen Montagetätigkeiten, der Einzelhandel … Aber ich will den Schwerpunkt anders setzen: auf die atypischen Beschäftigungsverhältnisse, die beständig weiter zunehmen. Statistisch gesehen haben inzwischen schon rund 40 Prozent der Arbeitnehmer kein Normalarbeitsverhältnis mehr (unbefristet, Vollzeit oder Teilzeit über 20 Stunden, sozialversichert). Sie arbeiten in Teilzeit oder Minijobs, mit befristetem Arbeitsvertrag, in Leiharbeit oder als Solo-Selbstständige. Das sind zum großen Teil prekäre Arbeitssituationen, gekennzeichnet durch geringe Einkommen, unzureichenden oder fehlenden Sozialversicherungsschutz, aber auch durch physisch und psychisch oft besonders belastende Arbeitsbedingungen. In prekären Beschäftigungsverhältnissen finden sich mehrheitlich Frauen. Sie dürfen nicht aus dem Blickfeld des Arbeitsschutzes geraten – die über acht Millionen Teilzeitbeschäftigten (zu 95 Prozent Frauen), die fast fünf Millionen, die ausschließlich einen Minijob haben (zu 99 Prozent Frauen), die 2,5 Mio. befristet Beschäftigten (zu über 60 Prozent Frauen). Sie alle tragen das Risiko, schlechter oder gar nicht in den betrieblichen Arbeitsschutz eingebunden zu werden und weniger im Blick der Aufsichtsbehörden zu sein. Es sind eben nicht nur die knapp eine Million Leiharbeitnehmer (zu 70 Prozent Männer), deren Arbeitsschutzrisiken besonders hoch sind und die bislang hauptsächlich im Fokus stehen. Der Stressreport 2012 und der Bericht der Bundesregierung zu Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2012 zeigen klar, dass z.B. Teilzeitbeschäftigte oft am Rande ihrer Leistungsgrenze arbeiten sowie unter Monotonie und Arbeitshetze leiden. Deshalb ist der Arbeitszeitschutz ein besonders wichtiges Thema. Das bedeutet etwa durchzusetzen, dass in atypischen Beschäftigungsverhältnissen Pausen und Ausgleichszeiten ebenso wie die maximale Arbeitszeit eingehalten werden.

 

Was erhoffen Sie sich von der aktuell im Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung anstehenden Neuregelung des Mutterschutzes?

Es ist überfällig, dass dieses Gesetz aus den 50er Jahren an die aktuelle Arbeitswelt angepasst wird. Allerdings diskutiert man den aktuellen Entwurf jetzt schon seit Ende Mai 2016 im Bundestag und immer noch warten wir auf den Beschluss. Daran können wir erkennen, welche Konflikte es gibt, wenn es darum geht, wie Schwangere und stillende Mütter im Job in ihrer Gesundheit ohne Benachteiligungen geschützt werden sollen, statt dass wie bisher ein eher „aussperrender“ Mutterschutz die Realität ist, d.h. dass die Frau mit einem Beschäftigungsverbot nach Hause geschickt wird. Das neue Gesetz soll klare Rahmenbedingungen für Gefährdungsbeurteilungen und für die Durchführung der Stufenfolge von Schutzmaßnahmen – technisch-organisatorische Maßnahmen oder Erleichterungen bei den Arbeitszeiten, Veränderung der Arbeitsaufgaben oder Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz – schaffen.

 

Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?

Gern, hier ein ganz einfaches: Wenn eine Schwangere zum Beispiel in den frühen Schwangerschaftswochen ganz klassisch morgens mit Übelkeit kämpft, kann ihr erlaubt werden, später zur Arbeit zu kommen oder ihre Stundenzahl zeitweise zu reduzieren. Der Arbeitsschutz kann auch dafür sorgen, dass die werdende Mutter eine Sitzgelegenheit bekommt, wenn sie ihren Beruf nicht mehr ständig im Stehen ausüben kann. Oder dass sie in einem Labor ein anderes Aufgabengebiet bekommt, wenn sie nicht mehr mit bestimmten Gefahrstoffen arbeiten darf.

Der Mutterschutz muss als ganz normale Arbeitsschutzaufgabe gesehen und praktiziert werden. Es geht im Arbeitsschutz ja darum, an jedem Arbeitsplatz für jeden – ob jünger, ob älter, ob Mann oder Frau, ob im Einzelfall auch gesundheitlich oder körperlich eingeschränkt belastbar – die vorhandenen Gefährdungen zu ermitteln und Schutzmaßnahmen durchzuführen, so dass schwangere Frauen und stillende Mütter ihre bisherige Tätigkeit auch weiter ausüben können. Das Ziel sollte sein, dass Unternehmer sich daran gewöhnen, dass bei ihnen Menschen arbeiten, die Kinder bekommen. Und es geht darum, schwangere Frauen zu ermutigen, sie über Risiken zu informieren und darin zu unterweisen, wie Gefährdungen an ihrem Arbeitsplatz vermieden bzw. der Arbeitsplatz entsprechend umgestaltet werden. So entwickeln sie keine diffusen Ängste, sondern können normalerweise unbesorgt bis zur Mutterschutzfrist arbeiten – um später wieder in den Beruf zurückzukehren. Es wird höchste Zeit, dass das neue Mutterschutzgesetz hierfür den Weg ebnet. Dann wirkt Schwanger-Werden und ein Kind bekommen nicht länger wie eine Sollbruchstelle im Berufslebensverlauf von Frauen. Wenn man bedenkt, dass junge Frauen heute die besseren Schulabschlüsse machen, ist es nicht akzeptabel, dass viele von ihnen nur in brüchigen oder Teilzeit-Arbeitsverhältnissen ohne verheißungsvolle Perspektiven beschäftigt sind.

 

Die Geschichte des Weltfrauentags

Der Weltfrauentag geht zurück auf den 8. März 1908. Bei einem Brand einer amerikanischen Fabrik 129 Arbeiterinnen gestorben. Sie hatten dafür gestreikt, mehr Rechte für die Frauen zu bekommen. Drei Jahre später wurde der erste Weltfrauentag begangen und man verband das Erinnern an das furchtbare Unglück mit politischen Forderungen nach mehr Gleichberechtigung und dem Wahlrecht für Frauen. Bis heute demonstrieren viele Frauen an diesem Tag für die Abschaffung von Diskriminierung, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt.

 

Interessante Links:

Viel gutes Material zu Gender im Arbeits- und Gesundheitsschutz auf der Webseite der Hamburger Behörde für Arbeitsschutz

Zu frauenrelevanten Themen der Digitalisierung
Querschnitt Nr.9 „Arbeit 4.0 – Digitalisierung Gendergerecht gestalten

Lott, Y. (2016), Fördert Digitalisierung die Geschlechtergerechtigkeit? in: Absenger et al., Mitbestimmungs-Report der Hans-Böckler-Stiftung, Nr. 24 , September 2016. Download hier

Zu atypisch-prekärer Beschäftigung
Seiler, K., Acemyan, T. (2015) „Zweiklassengesellschaft? Atypische Beschäftigung und Konsequenzen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ (Seiler/Acemyan 2015) Download hier (zuletzt aufgerufen am 18.02.2017)

Zur Neuregelung des Mutterschutzrechts

30.03.2017 Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzes