Vortrag: Welche Chancen für gesundes Arbeiten bieten Exoskelette?

Wie können Exoskelette das Arbeitsleben erleichtern – und Beschäftigte, die schwer heben und tragen oder oberhalb ihres Kopfes arbeiten müssen, gesund erhalten? Dr. Urs Schneider, Abteilungsleiter Biomechatronik beim Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart, ist Experte für dieses Thema und informierte die Mitglieder der Basi, Bundesarbeitsgemeinschaft für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, darüber bei ihrer jüngsten Versammlung. Der Vortrag kann über die Seiten der Basi kostenfrei heruntergeladen werden.

Das Thema Exoskelette wird auch beim A+A Kongress 2023 eine wichtige Rolle spielen: Dann startet die WEARRACON EUROPE-Konferenz für Exoskelett-Technologie in Kooperation mit der EXOWORKATHLON-Life-Studie erstmals zusammen mit dem A+A Kongress und sorgt thematisch abgestimmt für optimale Synergien und aufregende neue Erkenntnisse.

Forscher analysieren Reduzierung von Belastungen

Einen ersten Eindruck davon vermittelte der Vortrag von Dr. Urs Schneider: Er erläuterte die verschiedenen Effekte, die sich bei Schweißarbeiten mit Exoskeletten im subjektiven Empfinden zeigten. Im Labor in Stuttgart gibt es dazu ergonomische Bewertungen und Analysen. Dr. Schneider erklärte, es gelte, eine Software zu entwickeln, um die Ergebnisse zu evaluieren. Wie Exoskelette Belastungen reduzieren, wird nach seinen Worten bei Forschungen auf Baustellen (etwa beim Bahnhofsneubau in Stuttgart), im Stall für die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) oder bei der Bundeswehr untersucht.

Ein entscheidendes Ziel dabei sei, muskuloskelettale Schäden am Körper möglichst auszubremsen. Dr. Schneider: „Wir gehen davon aus, dass einige Schäden, die etwa an der Bandscheibe von Über-40-Jährigen entstehen, schon im Alter zwischen 14 und 25 Jahren initiiert werden.“ Deshalb müsse man den Blick auf die jungen Arbeiter und Arbeiterinnen richten, damit ihre Körper früh geschützt werden. Dabei betonte Dr. Schneider die prinzipielle Bedeutung des sogenannten TOP-Prinzips – also: Was muss technisch oder organisatorisch in die Wege geleitet sein, bevor man Exoskelette anwendet? Darüber hinaus gelte es, Menschen physisch zu stärken und individuelle Lösungen zu finden. Die Effekte von Exoskeletten untergliedert der Experte in „passiv“ (federn, dämpfen) und „aktiv“ (elektromechanische Konzepte, Energiezufuhr).

Einsatz vor allem in der Bauindustrie

Mit der Entwicklung passender Systeme für die Arbeitswelt befassen sich laut Dr. Schneider derzeit ungefähr einhundert Firmen – von kleinen Start-ups bis zu großen Unternehmen wie Sony, Samsung oder Ottobock. Er verglich die Entwicklung mit derjenigen des Automobils im 19. Jahrhundert und prognostizierte, 2025 werde der Markt für qualitativ hochwertige Industrie-Exoskelette erst richtig durchstarten. Rund 50.000 davon könnten 2025 bereits verkauft werden, damit rechnet das Stuttgarter Fraunhofer-Institut. Exoskelette werden laut Dr. Schneider vor allem in der Bauindustrie eingesetzt, damit chronische Schäden, etwa durch Unfälle bzw. Ermüdung, gar nicht erst entstehen.
Dr. Schneider: „In Japan und in den USA sind bei Toyota in bestimmten Montagestraßen Exoskelette bereits Pflicht.“ Derweil geschehe in Deutschland auch einiges: Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) mit ihrem Institut für Arbeitsschutz (IFA) betrachteten das Feld ebenso wie die BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin). Dabei gehe es etwa um eine Gefährdungsbeurteilung für Exoskelette. „Es mangelt aber noch an Studien.“ Das Fraunhofer-Institut befasse sich derzeit mit einem bestimmten Studien-Typ mit  einstündigen Tasks – dem EXOWORKATHLON. Dabei handelt es sich um bestimmte Aufgaben in Industriebranchen, die innerhalb einer Stunde jeweils mit und ohne Exoskelett erledigt werden.

Erfahrungen sammeln mit versierten Arbeitenden

Erfahrungen werden auch bei Exoworkathlons mit erfahrenen Arbeitenden gesammelt: Dabei werde beispielsweise unter Zwangsbedingungen innerhalb eines Parcours geschweißt. „Dazu haben wir Daten erhoben, auch auf der A+A 2021“, erklärte Dr. Urs Schneider. Bewertet würde unter anderem die Arbeitsqualität. Auch die Erschöpfung werde gemessen, die nach einer Stunde auftrete, innerhalb der acht Kilo schwere Kisten an einem Probearbeitsplatz gehoben werden. Dr. Schneider: „Wir nehmen dabei nicht die Geschwindigkeit in den Blick, sondern schauen uns vor allem die Arbeitszeit und die Arbeitsgenauigkeit an.“ Erste Ergebnisse zeigten: Die einstündige Arbeit war weniger anstrengend mit Exoskeletten. Das gelte auch beim Schweißen vor dem Körper und über Kopf – hier habe auch die Schweißnaht über eine Stunde besser ausgesehen.
Diese EXOWORKATHLON-Parcours werden laut dem Experten nun weiterentwickelt, um die systematische Datenerhebung weiter zu stärken – zum Beispiel beim Über-Kopf-Schrauben oder bei schwerer körperlicher Arbeit in der Abfallentsorgung.
Dadurch werde auch die Studie zu den Effekten von Exoskeletten sukzessive erweitert – Dr. Schneider lud zu einer kritischen Diskussion ein, um die Wissenschaft zu unterstützen. Er halte es für sinnvoll, zu dem Thema weltweit eine App und eine Datenbank zu entwickeln, um einen besseren Austausch zu ermöglichen.
Die Langzeiteffekte von Exoskeletten zu erforschen, bleibt nach Worten von Dr. Urs Schneider eine anspruchsvolle Aufgabe: „Wie wollen wir diese bei Menschen mit Rückenproblemen feststellen?“
 
Das Thema Exoskelette wird ausführlich auf dem A+A Kongress 2023 (24. bis 27. Oktober 2023) diskutiert – weitere Informationen folgen.