Verhalten am Arbeitsplatz – sicher und gesund

Es ist ja nicht so einfach, seine Gewohnheiten zu verändern. Deshalb wurden viele gute Vorsätze vom Jahresbeginn bestimmt schnell gebrochen. Ähnliches gilt natürlich für das Verhalten am Arbeitsplatz, das häufig alles andere als gesundheitsfördernd ist. Doch wie schafft man es, gefährliche Routinen auszuhebeln?

TOP und STOP beim Arbeitsschutz

Arbeitsschutz – das bedeutet, dass zuerst die Verhältnisse geändert werden, um Unfälle und Gesundheitsgefahren zu verhindern. Dann erst sollte man ein verändertes Verhalten der Beschäftigten in Betracht ziehen. „So lautet die Arbeitgeberverpflichtung im Arbeitsschutzgesetz (Paragraf 4 ArbSchG), sie sollte durch das so genannte TOP-Verfahren realisiert werden“, erklärt Joachim Berger, Referatsleiter in der Abteilung Sicherheit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Dabei steht das T für technische Maßnahmen – was zum Beispiel heißt, dass ein gefährlicher Spalt an einer Maschine abgedeckt oder entfernt wird, damit sich darin niemand einen Finger einklemmt. Das O meint sinnbildlich organisatorische Maßnahmen, also etwa eine Automatisierung von gefährlichen Prozessen, so dass keine Menschen beteiligt sind und gefährdet werden können. „Fehler lassen sich bei Menschen nie völlig ausschließen – deshalb muss auch bei menschlichem Verhalten angesetzt werden“, sagt Experte Berger. Erst wenn die möglichen technischen und organisatorischen Maßnahmen ausgeschöpft sind, kann man auf P, den persönlichen Schutz der Beschäftigten, zurückgreifen, etwa durch den Gebrauch von persönlichen Schutzausrüstungen (PSA).

Dabei ist es nicht damit getan, als Ergebnis einer Gefährdungsbeurteilung den Beschäftigten eine Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen. Diese muss auch konsequent benutzt werden – was im Betrieb kontrolliert werden muss. „Eine strikt vorgegebene, generelle und ständige Trageverpflichtung sehe ich als schlechteste Lösung an – dieser Weg wird oft nur gewählt, weil er am bequemsten erscheint“, so Berger. PSA soll nach seinen Worten nur eingesetzt werden, wenn die Gefährdungsbeurteilung für diesen speziellen Arbeitsplatz oder –vorgang erforderlich ist. Hat ein Bäcker beispielsweise eine Mehlstauballergie, so ist das ständige Benutzen einer Feinstaubmaske nicht die geeignete Maßnahme. In diesem Fall erweitert und verstärkt sich die Unternehmerverpflichtung laut der Gefahrstoffverordnung auf das Kürzel STOP – mit einem S für Substitution. Berger: „In erster Linie soll ein gefährlicher durch einen ungefährlichen Stoff ersetzt werden“. Man könne in solchen Fällen z.B. speziell behandelte Trennmehle verwenden.

Darum sind Verhaltensänderungen notwendig

Verhaltensänderungen sind für Joachim Berger notwendig, weil sich Fehler nicht immer vermeiden lassen, schweren Unfällen hingegen gilt es, unbedingt entgegen zu wirken: „Das muss unser Ziel sein“, sagt der Fachmann und gibt ein Beispiel aus eigener Erfahrung: „Ich habe die gesamte Treppe gefliest und dazu tagelang Fliesen geschnitten. Ständig habe ich dabei Schutzhandschuhe und eine Schutzbrille getragen. Als ich zum Schluss noch eine kleine Stelle entdeckte, die ich schnell noch füllen wollte, habe ich mir heftig in den Daumen geschnitten, weil ich dabei ein einziges Mal keine Schutzhandschuhe trug.“

Die Mitarbeiter richtig motivieren

Wie motiviert man Mitarbeiter dazu, stets die notwendige Schutzausrüstung zu tragen – obwohl diese im Alltag hinderlich oder belastend sein kann? „Beispielsweise durch Passform und Optik“, sagt Joachim Berger. „Die Beeinträchtigung muss so gering wie möglich gehalten werden.“ Er selbst ist schon einen Marathon in modernen Sicherheitsschuhen gelaufen, um zu beweisen, wie bequem diese sein können, wenn sie gut passen. Ideal ist es aus seiner Sicht, wenn Beschäftigte die Schutzausrüstung als hilfreich empfinden – etwa die Arbeiter, die an heißen Glasöfen beschäftigt sind und Atemschutz benötigen. Dazu tragen sie so genannte Airstreamhelme, in die mithilfe eines Schlauchs kühlende, gefilterte Luft geblasen wird. „Sie nutzen diese Helme gerne, weil diese ihnen die Arbeit erleichtern“, sagt DGUV-Referatsleiter Berger. Er empfiehlt Beratern, genau diese Aspekte in Betracht zu ziehen, wenn ein riskantes Arbeitsverhalten geändert werden soll: „Die Sicherheitsmaßnahme muss nachvollziehbar geeignet sein und sollte möglichst nicht als umständlich und als Belastung empfunden werden – sonst wird sie im Alltag nicht durchgehend eingesetzt.“

„Passt auf euch auf“ lautet für Joachim Berger ein wichtiges Schlagwort, wenn es darum geht, Eigenverantwortung zu stärken und Risikobewusstsein bei Beschäftigten zu schärfen: „Wir müssen die persönlichen Folgen von unsicherem Verhalten verdeutlichen und dadurch Betroffenheit erzeugen. Kollegen müssen auf unsicheres Verhalten hin angesprochen werden – zum Beispiel, wenn sie keinen Helm tragen.“ So könne man erreichen, dass Mitarbeiter Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz aktiv mitgestalten. „Wir sehen es etwa im Eishockey, beim Formel 1-Rennen oder beim Bergsteigen –  dort werden ganz selbstverständlich Schutzausrüstungen getragen, weil Menschen eingesehen haben, dass es um ihre Gesundheit geht. So seilt sich der Bergsteiger an und trägt spezielle Schuhe. Denn er weiß genau: Wenn ich abstürze, besteht Todesgefahr.“ Hier werde die richtige Ausrüstung aus Überzeugung getragen. Das sollte aus Bergers Sicht auch für den Arbeitsschutz gelten. Jeder sollte freiwillig mitmachen und einsehen: Es ist meine Gesundheit und meine Schutzausrüstung, die mich vor Gefahren bewahrt. Berger: „Doch auch hier zählt der Faktor Mensch –  jeder soll mitmachen.“

Status Quo, Kommitmensch und Vision Zero

Insgesamt ist die Zahl der Unfälle am Arbeitsplatz zwar kontinuierlich gesunken – aktuell meldete die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) (im Oktober 2017) 433.037 meldepflichtige Arbeitsunfälle und damit 1.566 Unfälle weniger als in den ersten beiden Quartalen 2016. „Dennoch müssen wir bei den übrig gebliebenen Einzelfällen ansetzen, um die Vision Zero umzusetzen – also eine Welt ohne Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen“, erklärt Berger. Die Vorschriften und das Regelwerk für sicheres Verhalten am Arbeitsplatz existieren zwar schon lange, sie müssen laut dem Experten allerdings „anwenderfreundlich und branchenorientiert an die Betroffenen herangebracht werden“. Das Instrument der Branchenregel solle genau dazu führen. „Aber wir müssen auch konkret die Themen ansprechen –  zum Beispiel das Verhalten am jeweiligen Arbeitsplatz oder auf Dienstreisen. Man sollte sich beispielsweise fragen, ob man zu Beispiel auch unterwegs bei der Arbeit ergonomisch richtig sitzt“, so der Fachmann. Er gestaltet Sicherheitsunterweisungen gern mal unterhaltsam und zeigt anschauliche Kurzfilme. Und er kennt seine Grenzen: „Es ist nicht möglich, dass jeder für jeden eine Unterweisung macht  – das muss passend und auf den Arbeitsplatz zugeschnitten geschehen. Nur dann fühlt man sich verstanden.“ Eine Unterweisung, die nur auf Arbeiten am Bildschirmarbeitsplatz ausgerichtet ist, eignet sich beispielsweise nicht für das Personal der Hausdruckerei mit den dortigen vielfältigen Maschinen und Geräten.

Parallel dazu verfolgt die aktuelle DGUV-Kampagne „kommitmensch“ das Ziel, Prävention zu einem integralen Bestandteil von Arbeit und Leben werden zu lassen. „Das gilt während der Arbeitszeit genauso wie zu Hause in der Freizeit oder zum Beispiel im Straßenverkehr“, sagt Joachim Berger. Es gelte, Unfall-und Erkrankungsschwerpunkte einzukreisen und dadurch zu erfahren, wo man ansetzen müsse. „Einer dieser Schwerpunkte ist der Straßenverkehr. Es geschehen immer noch zu viele Unfälle auf dem Weg zur Arbeit und zurück. Aber zum Beispiel auch, wenn jemand als Lkw-Fahrer oder Auslieferfahrer unterwegs ist.“  Berger weist darauf hin, dass man in diesem Bereich an mehreren Punkten ansetzen kann: So gelte es, die Fahrzeugtechnik wie zum Beispiel Assistenzsysteme sinnvoll zu nutzen, alternativ auch den öffentlichen Nahverkehr nutzerfreundlicher zu gestalten ebenso wie die Infrastruktur der Straßen zu verbessern. Weitere Ziele der Kampagne: Überholte Prozesse sollen im Sinne einer Verbesserung der Sicherheit auf den Prüfstand gestellt werden.

Mit der Digitalisierung wird im Hinblick auf die Verbesserung der Sicherheit ein neues Kapitel aufgeschlagen – das sieht auch Joachim Berger so. Er empfindet einige der neuen Entwicklungen durchaus als hilfreich und bringt Beispiele: Wenn man RFID (Radio-frequency identification) Chips in die persönliche Schutzausrüstung integriert und dann durch ein Kontroll-Portal wie am Flughafen geht, kann elektronisch kontrolliert werden, ob die Schutzausrüstung komplett ist und erst dann der Zutritt gewährt werden. Zudem ist das Nutzen von Bohrmaschinen möglich, die man nur einschalten kann, wenn man z.B. eine Schutzbrille trägt. Berger: „Ich kann mir auch gut eine Datenbrille vorstellen, die wichtige Informationen zum Arbeitsverfahren oder Sicherheitswarnungen einblendet, wenn im Verlaufe von Verkehrswegen gefährlicher Querverkehr beachtet werden muss.“ Dachdecker können Drohnen nutzen, um Schäden auf Dächern festzustellen, ohne aufsteigen zu müssen. „So lassen sich auch Einsätze der Feuerwehr sicherer gestalten. Wenn mit einer Drohne ein großes Brandobjekt überflogen und begutachtet wird, lassen sich Brandherde lokalisieren und gezielte Löschangriffe besser planen“, sagt Joachim Berger, der die Technik jedoch nicht im Vordergrund sieht: „Trotz aller technischen Möglichkeiten steht der Mensch mit seinem Verhalten für uns immer noch im Mittelpunkt“, betont er.

Bewusstsein für die eigene Betroffenheit schaffen

Ein Bereich, in dem spezielle Anforderungen für die Beschäftigten gelten, ist die Oberflächenbeschichtung wie der Bereich der metallischen Beschichtung durch Galvanotechnik. Hier wird mit Gefahrstoffen wie etwa Chromsäure gearbeitet. „Bei deren Nutzung werden Aerosole erzeugt. Wie beim Kochtopf auch ist die Intensität abhängig von der Temperatur. Für den Arbeiter ist es wichtig dies zu wissen, wenn die zu behandelnden Teile in die richtige Position gebracht werden.“, erklärt Dr. Uwe König, technischer Direktor bei der EU-weiten Interessensvereinigung VECCO, die sich mit der Umsetzung von Maßnahmen zur Verminderung von Risiken in der Galvanotechnik befasst. Dr. König weiß, dass Schutzmasken im Alltag oft nicht aufgesetzt werden, mancher Arbeiter läuft im Betrieb sogar mit kurzärmeligem Hemd umher. „Das größte Gefahrenpotenzial ist die Gewöhnung – ,es ist noch immer gut gegangen‘. Mit Aufklärung und Trainingsmethoden haben wir diese Menschen bisher nicht richtig erreicht – die gefährlichen Gewohnheiten müssen langfristig verändert und die Arbeiter an die Schutzmaßnahmen gewöhnt werden“, sagt Uwe König. Um dies zu erreichen, sieht er verschiedene Möglichkeiten: „Wir müssen schon in der Ausbildung auf die Risiken und den entsprechenden Schutz aufmerksam machen. Das Aufsetzen der Maske kann zum Beispiel Teil regelmäßiger Übungen sein. Außerdem geht es darum, die leitenden Angestellten zu sensibilisieren. Sie sollten mit wachem Blick durch den Betrieb gehen und Mitarbeiter aufmerksam machen, wenn sie bemerken, dass diese die Sicherheitsvorschriften nicht beachten. Nicht Kontrolle ist das Ziel, sondern Hinweise zu geben und Bewusstsein zu schaffen.“ Derzeit erfasst VECCO Daten zu den Risiken in Betrieben, um die Belastungszeiten der Mitarbeiter möglichst gering zu halten. „Dabei denken wir auch über Automatisierungsprozesse nach. Zum Beispiel könnten Mitarbeiter künftig über einen tragbaren Monitor, der am Handgelenk befestigt wird, Prozesse steuern und bestätigen, wenn ein Vorgang erledigt ist. So wird das Bewusstsein geschärft und der Mensch setzt sich damit auseinander, wie er mit Gefahrstoffen umgeht“, sagt Experte König.

Führungskräfte gezielt ansprechen

Im Rahmen der DGUV-Kampagne kommitmensch wird ebenfalls die Kultur der Prävention in den Firmen in den Blick genommen – daher werden unter anderem auch Führungskräfte angesprochen. „Sie sollen kompetent in Arbeitssicherheit sein, Prävention motiviert und engagiert betreiben“, erklärt Joachim Berger von der DGUV. Mit dem Thema Führungskräfte und Arbeitsschutz befasst sich auch Dr. Sebastian Festag, Präsident der Gesellschaft für Sicherheitswissenschaft: Er hat in einer Untersuchungsreihe, die er an der Bergischen Universität Wuppertal durchgeführt hat, verschiedene Fälle analysiert, bei denen der menschliche Faktor — auch in Bezug auf den Arbeitsschutz — in der Industrie untersucht wurde, und kommt zu dem Schluss: Emotionale Reaktionsweisen spielen bei vielen Arbeitsunfällen, bei deren Entstehung die Menschen von zentraler Bedeutung sind, eine große Rolle. „Diese emotionale Komponente sollte man stärker in die Sicherheitsarbeit einbeziehen und daraus Maßnahmen ableiten“, sagt Festag und nennt Beispiele aus krisenhaften Situationen: Wenn ein Unternehmen schließen müsse, Betriebe gekauft werden oder ein Teil der Produktion stillgelegt wird, gelte es, bei den Mitarbeitern ein Problembewusstsein zu schaffen. Festag: „In solchen Situationen werden schnell auch die Arbeitsschutzanforderungen nebensächlich. Dabei müssen sie genau in dieser Risikolage besonders hoch sein, um Unfälle zu verhindern.“ Nach Überzeugung des Sicherheitsexperten spielt die Emotionalität in der Sicherheitstechnik derzeit nicht die Rolle, die ihr zukommen sollte. Sebastian Festag: „Für Führungskräfte ist es wichtig, das von Mensch zu Mensch im Detail unterschiedliche, subjektive Erleben einer Situation in ihre Handlungen mit einzubeziehen – und zu erkennen, wie differenziert Menschen in diesem Zusammenhang reagieren können.“

Analyse zum Thema Arbeitsschutz – jeder Betriebskultur-Typ reagiert anders

Wie unterschiedlich die Reaktion von betrieblich Verantwortlichen aussehen kann, wenn sie auf das Thema Arbeitsschutz angesprochen werden, hat Dr. Britta Schmitt-Howe, stellvertretende Leiterin der Gruppe Strukturen und Strategien des Arbeitsschutzes bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), in qualitativen Interviews in Betrieben festgestellt. Die Expertin hat fünf Typen betrieblicher Präventionskultur identifiziert. „Die jeweilige Präventionskultur“, sagt sie, „wird vor allem von Arbeitgebern, Betriebsräten sowie Fach- und Führungskräften geprägt. Deshalb habe ich diesen Personenkreis befragt.“  Nach Auswertung der Gruppeninterviews kommt sie zu dem Schluss: „Den Kultur-Typ, den ich in 20 von 50 Betrieben am häufigsten vorgefunden habe, kann man mit dem Schlagwort ‚Priorität Technik‘ bezeichnen. Technik, Maschinensicherheit und persönliche Schutzausrüstung (PSA) stehen in diesen Betrieben an erster Stelle, wenn es darum geht, Gefährdungen zu begegnen. 80 Prozent des Arbeitsschutzes und mehr gelten dadurch als erledigt. Die Verantwortlichen sehen meist nicht wirklich die Notwendigkeit, darüber hinaus beispielsweise psychische Belastungen zu beachten.“

Ganz entgegengesetzt geht der Typ „Mensch im Mittelpunkt“ mit dem Thema Arbeitsschutz um: „Mitarbeiter werden als wichtigste Ressource gesehen, aber auch als wichtigste Quelle von Fehlern und Gefahren“, erklärt Dr. Schmitt-Howe. Diese Einstellung hat auch Schattenseiten: „Man setzt auf Partizipation und Eigeninitiative. Es gibt viele Gesprächsanlässe zum Thema Sicherheit und Gesundheit. Aber wenn etwas passiert, wird die Ursache zuerst beim Mitarbeiter gesucht.“ Verhältnisprävention, so die Expertin, werde tendenziell vernachlässigt. Als Bild dafür führt sie veraltete Maschinen ins Feld, die übersät sind mit Warnhinweisen. „Auch solche Beispiele“, sagt sie, „habe ich in der Praxis gesehen“.

Der „Kennzahlen“-Typ hingegen regelt den Arbeitsschutz mithilfe eines Managementsystems, zu dem Verfahrensanweisungen und Audits gehören. „Das ist ein technokratischer Ansatz, bei dem mit einer gewissen Zahl von Unfällen gerechnet wird. Die interne Partizipation wird meist nur basal umgesetzt – so dürfen Mitarbeiter zwar Verbesserungsvorschläge machen, werden aber nicht danach gefragt, was sie belastet. Einen weiteren Typ mit dem Titel „Eigene Kultur“ konnte die Spezialistin ausschließlich in Großbetrieben mit 250 bis zu mehreren tausend Beschäftigten beobachten: „Dort wird eine anspruchsvolle Unternehmenspolitik gemeinsam mit den Mitarbeitern umgesetzt. Im Rahmen der Vision Zero Orientierung gilt hier jeder noch so kleine Unfall als vermeidbar. Selbst bei der Bekämpfung von Beinahe-Unfällen ziehen alle an einem Strang. Stillstand wird als Rückschritt empfunden.“

Auch der Geschäftsführer kann angesprochen werden, wenn er keinen Helm trägt – „man strebt eine permanente Verbesserung des Arbeitsschutzes an“, sagt Dr. Schmitt-Howe. Am weitesten davon entfernt sieht sie den Kleinbetriebs-Typ „Selbstbezug“, zu dem häufig Start Ups oder Handwerksbetriebe zählen. „Dort vertraut man nur auf sich selbst, auf die eigene Fähigkeit und Eignung sowie darauf, dass man bei Gefährdung richtig reagiert.“  Hier wird beispielsweise davon ausgegangen, dass ein gut ausgebildeter Tischler schon weiß, was im Arbeitsschutz zu tun ist. „Es gibt nahezu keine Prävention auf betrieblicher Ebene. Allenfalls wird der individuelle Fitnesscenterbesuch bezuschusst“, führt Britta Schmitt-Howe aus.

Als Resultat ihrer Analysen hat die Fachfrau die These entwickelt, dass Aufsichtsdienste und Arbeitsschutzexperten am erfolgreichsten sind, wenn sie die verschiedenen Kultur-Typen jeweils „dort abholen, wo sie stehen“. Es gelte, jeden Betrieb angemessen anzusprechen und zunächst zu würdigen, was bereits gut läuft. Erst dann sollte man das Augenmerk auf vernachlässigte Dinge richten. „So müssen wir bei kleinen Unternehmen und Start Ups beispielsweise die Arbeitsstättengestaltung stärker in den Blick nehmen. Der Priorität Technik-Typ kümmert sich häufig hingebungsvoll um Werkzeuge und Maschinen. Dieses Verhalten auch auf die Belastungen der Belegschaft im Arbeitsprozess zu übertragen, ist ein wichtiger Schritt.“ Und der Typ „Mensch im Zentrum“ muss laut der Expertin lernen: „Es reicht nicht, zu diskutieren und Mitarbeiter zu ermahnen – auch die Verhältnisse sollten so gestaltet werden, dass der Arbeitsprozess ohne viel Nachdenken reibungslos funktioniert.“