Digitalisierung, Prävention und Persönliche Schutzausrüstungen auf der A+A 2017

Sicherheit am Arbeitsplatz

Virtuelle Welten und Datenschutzbrillen sind ebenso wie veränderte Belastungen durch neue Technologien und Digitalisierung am Arbeitsplatz wichtige Themen, die vom 17. bis 20. Oktober auf dem A+A Kongress und der Internationalen A+A Fachmesse in Düsseldorf eine große Rolle spielen werden. Ein weiterer Schwerpunkt in der Prävention: die Zukunft der persönlichen Schutzausrüstungen. Die Basi gibt einen ersten Überblick über wichtige Facetten des sicheren Arbeitens in digitalen Zeiten.

Thema virtuelle Welten und Datenbrillen

„Damit das Gehirn auch eine virtuelle Welt dreidimensional sehen kann, muss der Computer Informationen, sprich zwei Bilder, über eine so genannte VR-Brille weitergeben, so wie es die zwei Augen in Wirklichkeit tun. Im Kopf werden die Bilder dann, vereinfacht gesagt, zu einer dritten Dimension zusammengesetzt“, so beschreibt Dr. Peter Nickel vom Fachbereich Unfallverhütung und Produktsicherheit des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) die Funktion der Datenbrillen. Schon in den 1970er Jahren machte man erste Sehversuche damit, heute haben sie nicht nur bei der Spieleindustrie ihren festen Platz, sondern auch in den zahlreichen VR-Laboren von Industriebetrieben. „Hersteller wie Airbus planen mithilfe der virtuellen Realität Fertigungsprozesse und probieren beispielsweise aus, wie und in welcher Reihenfolge einzelne Teile eines Flugzeugs – etwa Hydrauliksysteme – eingebaut werden können“, erklärt Nickel. Zudem könne man mithilfe von VR testen, ob und wie sich eine Maschine sicher bedienen lasse, dies könne an einem entsprechenden Modell sogar trainiert werden. In den letzten Jahren entdeckt auch der Arbeitsschutz zunehmend den Nutzen von VR-Brillen. „Wir können im VR-Raum in unserem Institut zum Beispiel mit einer Hubarbeitsbühne fahren. Bei ihrer Nutzung geschehen noch viele Unfälle. In der virtuellen Realität schauen wir, wie die Technik verbessert werden muss, damit die Sicherheitsmaßnahmen greifen und die Arbeitsbühne in einer gefährlichen Situation schnell gestoppt werden kann“, sagt der Unfallverhütungs-Experte. Der Vorteil der virtuellen Realität: Darin gehen solche Tests ohne Verletzungen vonstatten.

Chancen der virtuellen Realität

Weitere Chancen, die die virtuelle Realität eröffnet: Arbeitsplätze können als dreidimensionales Modell konstruiert und darauf abgeklopft werden, ob sie sicher sind, bevor man sie einrichtet und nutzt. Sogar Phobien wie Höhenangst oder Klaustrophobie lassen sich behandeln, indem ohne großen Aufwand die beängstigende Situation, also etwa ein hohes Gerüst, simuliert wird. Die Angst vor Arbeit in der entsprechenden Höhe kann dann reduziert werden. „Wir greifen im Institut für Arbeitsschutz die Fragestellungen der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen zur Technikgestaltung auf und entwickeln sichere und gebrauchstaugliche Lösungen“, so Peter Nickel. Dabei kann es zum Beispiel darum gehen, das richtige Tempo zu finden, in dem ein Mensch mit einem Roboter zusammenarbeitet, und den Roboter passend zu programmieren. Just im Einsatz im IFA: Eine originalgetreu und im Maßstab 1:1 nachkonstruierte, 144 Meter lange Schleuse. „Wir überprüfen im Auftrag der Unfallversicherung vor dem Bau einer solchen Schleuse, die rund 68 Millionen Euro kosten wird, ob und wie man dort sicher arbeiten kann. Das liegt auch im Interesse der Hersteller und Betreiber. Im Nachhinein lässt sich an einem solchen Bauwerk nämlich nur mit großen Kosten, wenn überhaupt, etwas verändern. So verbessern wir mithilfe der virtuellen Realität den Arbeitsschutz und sparen dabei Geld und Zeit“, sagt Dr. Peter Nickel. Mehr Informationen über die virtuelle Realität in der Mensch-System-Interaktion hier.

Thema: Das Projekt Prävention 4.0 und die veränderten Belastungen durch Technologie

„Wenn sich durch Industrie 4.0 die Technologie am Arbeitsplatz verändert, muss im Rahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes überprüft werden, welche neuen oder veränderten Belastungen es gibt und was auf die Mitarbeiter zukommt“, erläutert Katrin Zittlau, wissenschaftliche Mitarbeiterin für das Projekt „Prävention 4.0“ und Fachbereichsleiterin Demografie im VDSI (Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit e.V.). Der VDSI erarbeitet diese Erkenntnisse im Rahmen des Projekts mit, so dass seine Mitglieder auf aktuelles, praxisbezogenes Wissen zurückgreifen können. „Es geht darum, die Unternehmer entsprechend zu beraten“, sagt Katrin Zittlau.

Die Datenbrillen sind für sie ein gutes Beispiel für eine Technologie, deren Gefährdungen für die Nutzer ermittelt werden müssen. „Der Mitarbeiter kann über die Brille Informationen zu seinem Arbeitsplatz eingeblendet bekommen – so dass er beispielsweise weiß, was er bei seiner Tätigkeit im Umgang mit Gefahrstoffen beachten muss.“ Datenbrillen fungieren dann als Assistenzsystem. Sie können jedoch auch das Arbeiten in der virtuellen Realität ermöglichen. „Neben einer physischen Belastung kann das Tragen der Brille eine zusätzliche psychische Belastung bedeuten, z.B. durch das Agieren im virtuellen Raum“, erklärt Spezialistin Zittlau. Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) ermittelte, welche physischen Gefährdungen und psychischen Beanspruchungen möglicherweise mit dem Tragen einer Datenbrille verbunden sind. Die Ergebnisse können hier nachgelesen werden. „Dabei werden Fragen gestellt wie etwa: Ist eine Datenbrille die bessere Alternative? Wie lange soll man diese tragen? Ist es ratsam, die Brille nur im Sitzen zu tragen, um Schwindelgefühlen vorzubeugen?“, so Katrin Zittlau. Dieses Beispiel zeigt, wie sich Experten im Arbeits- und Gesundheitsschutz die Fachkräfte für Arbeitsschutz mit neuen Technologien auseinandersetzen, damit Maßnahmen im Sinne der Prävention in der Praxis berücksichtigt werden können.

Virtuelle Realitaet Schleuse

Eine Schiffsschleuse, erprobt in der virtuellen Welt des Instituts für Arbeitsschutz (IFA). Foto: IFA

 

Das Projekt Prävention 4.0

Die zentrale Zielsetzung des Projektes „Prävention 4.0“ ist:

  • die Definition der Anwendungsfelder der CPS (cyber physical systems = Softwaresysteme, die auch selbstständig entscheiden und sich gegenseitig steuern) in der Arbeitswelt.
  • die Analyse der Anwendungsfelder der CPS, ihrer Herausforderungen und Potenziale.
  • die Bereitstellung wesentlicher Handlungsmöglichkeiten einer präventiven Arbeitsgestaltung für alle betrieblichen Akteure sowie Betriebe unterstützende Organisationen.

Den Zielgruppen sollen die Potenziale der Arbeitswelt 4.0 systematisch erschlossen werden, um produktiv und gesundheitsgerecht arbeiten sowie Wettbewerbsvorteile über die Nutzung von CPS erzielen zu können. Mehr Informationen gibt es unter www.praevention40.de.

Thema: „Wearables“ und Bewegung

„To wear“ bedeutet Tragen auf Englisch – und dieser Ausdruck gibt einer ganzen Reihe von technischen Neuentwicklungen ihren Namen. „Damit sind beispielsweise so genannte Fitnesstracker und Apps gemeint, die zum Teil auch über die Kleidung (Stichwort ,smart textiles‘) physiologische Daten erfassen. Diese Daten betreffen etwa das Bewegungsverhalten oder den Energieumsatz“, sagt Dr. Britta Weber, Spezialistin für ,wearables‘ beim Institut für Arbeitsschutz (IFA) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.

In Untersuchungen am Arbeitsplatz liefern diese Fitnesstracker Informationen zu immer wichtiger werdenden Fragen des Arbeitsschutzes: Wie gestaltet sich der Einfluss des Bewegungsverhaltens auf den menschlichen Körper am Arbeitsplatz? Auf welche Weise wirken sich Veränderungen aus, wenn etwa der Energieumsatz und die Herzfrequenz gesteigert werden? „Im Rahmen einer großen Studie  werden die Fitnesstracker in Unternehmen eingesetzt, um die Effekte von dynamischen Büroarbeitsstationen auf verschiedene Aktivitätskennwerte zu untersuchen“, erläutert Britta Weber. Es gibt eine große Auswahl an wearables und das IFA beschäftigt sich auch gemeinsam mit europäischen Partnern des PEROSH-Verbundes (Partnership for european research in occupational safety and health) mit der Frage, welches Gerät für welche Anwendung geeignet ist.

Mithilfe der „wearables“, die jetzt schon einen großen Markt darstellen, lasse sich ein Status Quo des Bewegungsverhaltens feststellen – wobei es auch darum gehe, wie genau die Daten sind, die mithilfe dieser Technologie ermittelt werden. Mehr Informationen gibt es hier.

Thema Neuigkeiten im Bereich Persönliche Schutzausrüstungen (PSA)

Eine wichtige Tendenz bei den Persönlichen Schutzausrüstungen ist sicherlich die Multifunktionalität – das ist ein Wunsch und ein Muss, sagt Professor h.c. Karl-Heinz Noetel, Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU), Leiter des Fachbereichs Persönliche Schutzausrüstungen bei der DGUV. Als Beispiel gilt für ihn das „Warnschutz-Polo“, ein Polohemd, das nicht nur mit warnenden, fluoreszierenden Streifen versehen ist, sondern zudem Schutz gegen schädliche UV-Strahlen und gegen Zecken (Vektorenschutz) bietet sowie aus einem atmungsaktivem Material besteht. „Eine solche neue Entwicklung wird auch durch die BG Bau gefördert“, so Noetel.

Ergonomie sieht er als weiteres großes, jedoch schwieriges Thema an: „Zwischen einem günstigen S3-Sicherheitsschuh und einem teuren Modell liegen Welten. Und es wird immer Verantwortliche geben, denen mehr daran liegt, am Preis für die Sicherheitsschuhe zu sparen als daran, dass sich Beschäftigte in ihren Schuhen wohl fühlen.“ Der Tragekomfort spielt für Noetel auch in anderen Bereichen der PSA eine wichtige Rolle – zum Beispiel bei modernen Textilien wie einer Unterwäsche aus einem Merinowolle/Polyester-Materialmix mit einem speziellen Webverfahren: „Sie schützt gegen Kälte, transportiert die Flüssigkeit vom Körper weg, wenn man schwitzt, und man kann sich darin gut bewegen. Eine gute Kombination zur Vorbeugung von Erkältungen sowie von Muskel- und Skeletterkrankungen.“

Dass die Käufer von PSA auch auf das Design achten, sieht Noetel zum Beispiel beim Fußschutz: Sicherheitsschuhe, die wie Sportmarkenprodukte aussehen, kommen nach seiner Beobachtung gut an. Ein weiteres Beispiel sind für ihn auch die fantasievollen Kleiderkreationen des russischen Designers Slava Zaitsev. „Außerdem müssen Schutzanzüge zunehmend auf das schwächere Knochengerüst einer alternden Belegschaft ausgerichtet sein und vermehrt auch die weibliche Anatomie berücksichtigen.“

Immer die passende Ausrüstung tragen

Eine korrekte Gefährdungsbeurteilung ist für Noetel die Grundvoraussetzung dafür, dass Firmen Klarheit darüber bekommen, dass ihre Beschäftigten die richtigen PSA dort tragen, wo sie erforderlich sind: „Wenn der Unternehmer weiß, welche Gefahren an einem Arbeitsplatz drohen, kann er auch durch die passende Schutzausrüstung vorbeugen.“ Dabei unterstützen nach seinen Worten die Unfallversicherungsträger und geben Hilfestellung, damit der Unternehmer z.B. die richtige Atemmaske gegen ein bestimmtes Gas auswählen kann. Wird die Gefährdungsbeurteilung nicht gemacht und es geschieht ein Unfall, so muss sich der Unternehmer entsprechend vor Gericht verantworten.

Kontrolle durch RFID-Zugangsportal

Das RFID-Verfahren (radio frequency identification) ist für den PSA-Experten Noetel ein Mittel der Wahl, um zu kontrollieren, ob die Schutzausrüstung eines Beschäftigten komplett ist. Spezielle Transponder signalisieren über elektromagnetische Wellen einem Zugangsportal, ob der Beschäftigte den richtigen Helm und die passenden Schuhe oder etwa eine PSA gegen Absturzgefahren trägt. Erkennbar wird auch, ob derjenige eine Unterweisung bekommen hat, wenn er einen Bereich betreten will, in dem mit Gefahrstoffen gearbeitet wird. Hat er diese nicht erhalten, öffnet sich das Tor erst gar nicht. „Eine einfache Möglichkeit ist aber auch ein großer Spiegel am Eingang der Baustelle – und daneben eine Liste mit allem, was getragen werden muss. Das habe ich in China gesehen und es funktionierte“, berichtet Professor h.c. Noetel.

Trends und der Blick in die Zukunft

Der Bedarf sollte sich laut Professor Noetel stets am TOP Prinzip orientieren. Das bedeutet: Zunächst müssen technische Lösungen (für sie steht das T) gefunden werden. Ein Beispiel: Ein Dachdecker will ein Dach umdecken. Dann darf die PSA gegen Absturzgefahr nur kurzfristig eingesetzt werden, erst kann etwa ein Gerüst errichtet werden, auf dem gearbeitet wird. Ein weiterer Punkt ist das O wie Organisation: So können etwa gefährliche Bereiche abgesperrt werden, um Unfälle zu verhindern, da keiner den Gefahrenbereich betreten kann. Wenn technische und organisatorische Maßnahmen nicht umgesetzt werden können, folgt laut dem Experten der Schutz durch die PSA (dafür steht das P). „Der Markt hierfür wird sich weiterhin positiv entwickeln, denn im Zuge des demografischen Wandels wird es immer wichtiger, die Gesundheit von Beschäftigten langfristig zu erhalten“, sagt Karl-Heinz Noetel. „Es gibt viele Möglichkeiten, Hinweise auf mögliche Gefahren zu geben – wie zum Beispiel ein Sensor am Industrieschutzhelm, der sich mit der Zeit durch Einwirkung von UV-Licht verfärbt und dadurch anzeigt, ab wann der Helm nicht mehr stabil ist.“

Künftig wird es nach Ansicht des PSA-Experten auch zunehmend darum gehen, dass die Schutzausrüstung den Träger nicht nur schützt, sondern auch dessen Gesundheit überwacht – also etwa den steigenden Blutdruck oder die Höhe der Körpertemperatur misst und im Fall einer Gefahr Alarm schlägt. „Derzeit werden solche ,smart PSA’ insbesondere bei der Feuerwehr genutzt“, sagt Noetel. Es sei jedoch zu beachten, dass der Umgang mit der Elektronik umfangreich geschult werden müsse. Die Wartung und Reinigung der Materialien sind nach seinen Worten sehr aufwändig.

Individuelle PSA sieht der Experte derzeit zum Beispiel beim orthopädischen Fußschutz sowie bei Otoplastiken. Die Otoplastiken können beispielsweise an den Gehörgang des Trägers, der vor Lärm geschützt werden soll, angepasst werden. Um insbesondere Unternehmer von kleinen und mittelständischen Betrieben mit solchen Spezialitäten zu erreichen, veranstalten die Unfallversicherungsträger Fachseminare, in denen passgenaue Lösungen für Probleme vorgestellt werden.

Weil Firmen- und Schutzkleidung häufig trendy und schick ist, wollen immer mehr Beschäftigte diese auch privat tragen. In diesem Zusammenhang weist Karl-Heinz Noetel auf ein wichtiges Detail hin: „Firmenkleidung muss immer dem Unternehmen zuzuordnen sein, etwa ein Logo tragen. Und die Mitarbeiter müssen darauf hingewiesen werden, dass sie diese Kleidung nicht privat tragen dürfen. So verhindert man, dass das Finanzamt einen geldwerten Vorteil sieht.“

Ausführliche Auskünfte über alle Bereiche der PSA sowie zu Verordnungen gibt es auf der Wissensplattform www.praeventionsforum-plus.info