Gesundheit und Unfall-Prävention im Betrieb: Jeder kann für andere ein hilfreicher Lotse sein
Die Erfolgsfaktoren eines gemeinsamen präventiven Ansatzes von Unfall- und Krankenversicherung sowie betrieblichen Akteuren im Arbeitsschutz und in der betrieblichen Gesundheitsförderung standen im Mittelpunkt einer Veranstaltung auf der „Arbeitsschutz Aktuell 2022“ in Stuttgart. Die Basi, Bundesarbeitsgemeinschaft für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, und ihr Mitglied IKK classic diskutierten mit kompetenten Referierenden und dem Publikum darüber, auf welche Weise Lotsen in der Vielzahl der verschiedenen Präventionsangebote nachhaltige Effekte erzielen können. Parallel dazu informierten sich viele interessierte Gäste beim Stand der Basi über den kommenden A+A Kongress 2023 und ließen sich fotografieren.
Erfolgreich zueinander finden
Wie können die betriebliche Gesundheitsförderung und der Arbeitsschutz so zusammenarbeiten, dass Betriebe und Belegschaften vor Ort davon profitieren? Stefan Ammel, Leiter des Referats zur Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren bei der Krankenkasse IKK classic, zeigte in seinem Vortrag auf der „Arbeitsschutz Aktuell 2022“ in Stuttgart Wege, auf denen Praktikerinnen und Praktiker erfolgreich zueinander finden können: einmal über persönliche Kontakte, die über die Institutionen systematisch weiter ausgebaut werden, zum anderen über die Bündelung von Anfragen und die Festlegung von regionalen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner bei Unfall- wie Krankenkassen. So entstehen nach seinen Worten mehr und mehr erfolgreiche Tandems UV-KV, die letztlich die Betriebe und ihre Beschäftigten besser bedienen. Auf Nachfrage erklärte er, nach dem Verständnis der IKK classic sollte auch die Krankenkasse auf die Gefährdungsbeurteilungen im Betrieb unterstützend hinwirken. „Unsere Gesundheitsberater kennen die Liste der Gefährdungsfaktoren und sind im Austausch mit den Kollegen der Berufsgenossenschaften. Unsere Analysen und Ergebnisse im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsförderungs-Prozesses sind systematisch anschlussfähig für die Experten des Arbeitsschutzes.“ Aus Sicht von Basi-Geschäftsführer Dr. Christian Felten ist es revolutionär, dass sich eine Krankenkasse in dieser Form beteiligt.
Knowhow in der Aus- und Weiterbildung vermitteln
Johanna Post von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) betonte, dass die Leistungen der Sozialleistungsträger wie aus einer Hand kommen sollten, um Betriebe bei allen Fragen und Problemstellungen rund um das Thema Sicherheit und Gesundheit bestmöglich unterstützen zu können. Entscheidend ist dort, wo der eigene gesetzliche Auftrag aufhört und somit auch das entsprechende Expertenwissen, auf den jeweils weiterhelfenden Sozialleistungsträger hinzuweisen. Dafür braucht es Wissen über die Aufgaben und Leistungen der Sozialleistungsträger sowie die Kenntnis der richtigen Ansprechstellen. Dieses Knowhow sollte nach Ansicht von Post vor allem in der Aus- und Weiterbildung vermittelt werden, sodass bei der Überwachung und Beratung der Betriebe die möglichen Schnittstellen zu den Leistungsbereichen anderer Sozialleistungsträger automatisch mitgedacht werden. Beispielsweise sollte auch bei der Gefährdungsbeurteilung immer in den Blick genommen werden, inwiefern andere Sozialleistungsträger bei den einzelnen Prozessschritten unterstützen können. Um den direkten Kontakt zu regionalen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern der Sozialleistungsträger herzustellen, bietet es sich an, sich in einem bereits vorhandenen Berater- oder Firmennetzwerk zu engagieren oder ein eigenes Netzwerk zu gründen. Als Grundlagenlektüre zur erfolgreichen Zusammenarbeit wies die Expertin auf die „Landkarte der Unterstützenden“ in der Publikationsdatenbank der DGUV hin, in der Informationen zu den gesetzlichen Aufträgen der Sozialleistungsträger ebenso zu finden seien wie deren Unterstützungsleistungen in verschiedenen Handlungsfeldern und Anregungen zur Umsetzung in der Aufsichts- sowie Beratungspraxis.
Die Welten zusammenbringen
Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte spielen eine entscheidende Rolle in der Beratung von Unternehmerinnen und Unternehmern im Arbeits- und Gesundheitsschutz, betont Katrin Zittlau, selbstständig tätige Sicherheitsingenieurin und Arbeitspsychologin sowie Vorstand für das Ressort Gesundheit im VDSI – Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit e.V. Das Präventionsgesetz sieht eine Zusammenarbeit zwischen diesen Beraterinnen und Beratern und den Beraterinnen und Beratern der Sozialpartner vor. Gerade in kleinen Unternehmen sind Arbeits- und Gesundheitsschutz und insbesondere die Gefährdungsbeurteilung wenig umgesetzt. Das Präventionsgesetz schaffe hier eine neue Möglichkeit des Zugangs und der Zusammenarbeit. Das Ziel, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu erhalten und zu fördern, ist ein gemeinsames.
„Wer macht was und wen kann ich für was ansprechen?“ sei eine zentrale Frage bei der Besprechung einer gemeinsamen Vorgehensweise, die zum Ziel führe. Dazu stellte sie ein Pilotprojekt der Zusammenarbeit des VDSI und der IKK classic vor, das vor allem Handwerksbetriebe in den Blick nimmt. Dieses Pilotprojekt findet in der Region Thüringen statt und soll Erkenntnisse für eine Zusammenarbeit liefern, die in andere Regionen und auf andere Branchen ausgeweitet werden könne. Als Lotse tritt laut der Expertin in diesem Zusammenhang der- oder diejenige auf, die zuerst am Ort des Geschehens ist – je nachdem kann dies die Ansprechpartnerin, der Ansprechpartner der Krankenkasse, die Fachkraft für Arbeitssicherheit oder auch eine Integrationsberatende sein. Katrin Zittlau: „Es geht darum, die Welten der Beratung im Arbeits- und Gesundheitsschutz zusammenzubringen, um eine zielführende und gewinnbringende Situation für alle zu erreichen.“
Pilotprojekt: Trainieren mithilfe des Job-Simulators
Ein erfolgreiches Pilotprojekt stand auch im Mittelpunkt des Vortrags von Dr. Nadja Schilling von der Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation (BG Verkehr): Das Ziel war es, die Muskel-Skelett-Erkrankungen und insbesondere die Rückenbeschwerden von Beschäftigten bei der Gepäckabfertigung am Hamburger Flughafen zu reduzieren. Bisher waren Präventionsprogramme nicht gut angenommen worden – einen Fortschritt brachte dann ein so genannter Job-Simulator: ein einfaches, modular aufgebautes System, das den Tätigkeiten und Abläufen bei der Gepäckabfertigung nachempfunden war. Damit konnte das multidisziplinäre Team von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten und Trainerinnen und Trainern die Bewegungsmuster der Beschäftigten analysieren und ihnen ergonomischere und belastungsärmere Alternativen zeigen. Unterstützt wurden sie von “Health Coaches”, die kollegial das arbeitsplatznahe Training begleiteten. Ein Erfolgsfaktor war, dass die Beschäftigten der Gepäckabfertigung während der Arbeitszeit trainieren und üben konnten. „Wie erfolgreich dieses arbeitsplatznahe Training war, ließ sich daran ablesen, dass sich die Zahl der Krankheitstage um 40 Prozent reduzierte“, erklärte Dr. Schilling. Daraufhin sei das Projekt weitergeführt und um weitere physisch belastende Tätigkeiten rund um die Flugzeugabfertigung erweitert worden – es ließe sich nach ihren Worten auch auf andere Bereiche mit jeweils angepassten Job-Simulatoren übertragen.
Nachhaltigkeit und Anschlussfähigkeit sind die Ziele, die auch Dr. Milena Barz von der Hauptabteilung Prävention der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) besonders am Herzen liegen, wenn es darum geht, arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten. „Dabei tritt die BG BAU gemeinsam mit Krankenkassen auf und macht Angebote, die die Zielgruppe benötigt. Wir wollen den Bedürfnissen der Betriebe entgegenkommen.“ Bei einer vernetzten Beratung im Bau-Bereich kann beispielsweise eine wirksame Unterweisung zum UV-Schutz durchgeführt werden. Barz: „Über den Nutzen von Arbeitsschutzmaßnahmen für Mitarbeitende und Unternehmen sollte medienwirksam berichtet werden, damit er weiter bekannt wird.“
In einer gemeinsamen Schlussrunde mit Dr. Christian Felten von der Basi betonten die Referierenden, im Sinne einer wirksamen Zusammenarbeit könne jeder Lotse für einen anderen werden – die Voraussetzung dafür sei allerdings, dass man voneinander und den jeweiligen Angeboten wisse, um miteinander voranzukommen.
Mehr Informationen zu den Angeboten der Basi und ihrer Mitglieder finden Sie auf der Basi-Homepage.