Im Gespräch:

Die Zukunft von Arbeit und Gesundheit

In der öffentlichen Diskussion genießt das Thema „Arbeit und Gesundheit“ anhaltend hohe Aufmerksamkeit und Wertschätzung, was die Notwendigkeit und den Ausbau von Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung angeht. Bruno Zwingmann, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (Basi), erklärt im Interview, welche Herausforderungen auf den Arbeitsschutz und seine Akteure zukommen.

Was sind für Sie wichtige Themen auf dem A+A-Kongress im Hinblick auf die Zukunft von Arbeit und Gesundheit?

Zwingmann: Prävention ist eine Investition in die Zukunft. Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu erhalten und zu fördern gewinnt für die Unternehmen, die Sozialversicherung wie auch für die Politik an Bedeutung. Ein herausragendes Thema stellen in diesem Zusammenhang nach wie vor die psychischen Belastungen dar, denen wir verstärkt entgegen treten müssen. Vornehmlich noch mit Blick auf die Zukunft wird aber der Arbeitsschutz auch im Zusammenhang mit dem aktuellen Digitalisierungsschub diskutiert. Ganz neu ist vor dem Hintergrund der aktuellen Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus die Verbindung von Safety- und Security-Themen (z. B. Cyber-Sicherheit).

Können Sie dies näher erläutern?

Zwingmann: Wir müssen uns mit den psychischen Erkrankungen und ihren Ursachen befassen, weil ihr Anteil bei Arbeitsunfähigkeit und vorzeitigen Verrentung wächst. Vieles deutet darauf hin, dass der „ausgebrannte“ Mensch, der sich einer Art Kommunikations-Overkill ausgesetzt sieht, immer kreativ und positiv sein muss. Er soll sich perfekt vermarkten und managen, und wird so gewissermaßen zum Prototyp für die negativen gesundheitlichen Folgen der modernen Arbeits- (und Lebens-)Welt. Dies bedeutet keineswegs, dass physische Belastungen durch Lärm, Gefahrstoffe wie Asbest oder Stäube oder das Heben und Tragen von Lasten irrelevant geworden wären. Mit Ausnahme der körperlichen Schwerstbelastungen und tödlichen Risiken haben sie keineswegs durchgängig abgenommen, ja sie nehmen in vielen Bereichen durchaus zu.

Die (möglichen) Probleme der Digitalisierung für Sicherheit und Gesundheit, aber gerade auch Chancen vor allem für klassische Fragen der Arbeitssicherheit werden im „Weißbuch Arbeiten 4.0“ benannt, welches das BMAS ( mit Video) als Zusammenfassung und (Zwischen-)Fazit Ende 2016 vorgelegt hat.

Welche Entwicklungen hat es im Arbeitsschutz vor dem Hintergrund der aktuellen Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus gegeben?

Zwingmann: Ressourcen, Konzeptionen und Maßnahmen des Katastrophenschutzes und der vorbeugenden Sicherheit werden kontinuierlich ausgebaut. Diese Entwicklungen berühren auch den Arbeitsschutz und werden zu einer stärkeren Überlappung von Safety- und Security-Themen führen, so beispielsweise bei einem Thema wie Cybersicherheit.

Wie sehen Sie die Dimensionen des Arbeitsschutzes weltweit und speziell in Großbritannien als Partnerland des A+A-Kongresses?

Zwingmann: Die Arbeitsschutzsituation in unserem Lande dürfte sich im Großen und Ganzen in vielen hochindustrialisierten Ländern wiederfinden. Ansonsten treten je nach dem Entwicklungsstand der Ökonomie die klassischen Arbeitsschutzthemen in den Vordergrund, so vor allem in den aufstrebenden neuen Industrieländern und erst recht in den Ländern der so genannten dritten Welt. Durch Ereignisse wie die Brexit-Entscheidung in Großbritannien oder die Neuwahlen in den USA ergibt sich sicher auch eine neue Situation für den Arbeitsschutz nicht nur in diesen Ländern, sondern auch für die Ausrichtung ihrer internationalen Politik bezüglich des Arbeitsschutzes. Es ist vor diesem Hintergrund bemerkenswert, dass Großbritannien Partnerland der A+A 2017 ist, was schon vor dem Brexit entschieden wurde.

Ungeachtet dessen geht die vor zwei Jahren begonnene Neuausrichtung der internationalen Arbeitsschutzpolitik in Folge der Katastrophe von Rana Plaza weiter. In den letzten Jahrzehnten haben weltweit viele katastrophale Ereignisse für Leben und Gesundheit stattgefunden. Aber kaum eines wurde als so skandalös empfunden wie die Katastrophe in der Textilfabrik „Rana Plaza“ in Bangladesch. Und dies hat bemerkenswerte Aktivitäten weltweit und auch in unserem Lande ausgelöst.

Welche Maßnahmen zeigen in diesem Zusammenhang Wirkung?

Zwingmann: Vor allem der „Aktionsplan Bündnis für nachhaltige Textilien“ des Bundesentwicklungshilfeministers und die gemeinsame Initiative mit der Bundesarbeitsministerin „Gute Arbeit weltweit“ zielen auf effektive Maßnahmen für Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen in der Lieferkette sowie die aktive Unterstützung beim Aufbau von Arbeitsschutzwissen und –Strukturen in den Herkunftsländern und der Einrichtung eines „Vision Zero Fund“, der der Entwicklung des Arbeitsschutzes in den ärmsten Ländern zugutekommen soll. Die Politik zur weltweiten Einhaltung der Kernarbeitsnormen der ILO und zum Aufbau von Arbeitsschutzstrukturen einschließlich der Etablierung einer gesetzlichen Unfallversicherung hat seitdem einen starken Schub bekommen. Auch die wichtigen internationalen Organisationen der Ökonomie (OECD, WTO) und große Welt-Foren (St. Gallen Symposium) beschäftigten sich intensiv mit Fragen von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und fairen Arbeitsbedingungen, was in dieser positiven Eindringlichkeit neu ist. Es ist derzeit noch nicht abzusehen, inwieweit aktuelle Entwicklungen wie in den USA sich hier auswirken.

Warum wird das Thema Prävention und Gesundheitsschutz bzw. -förderung für Mitarbeiter immer wichtiger für Unternehmen?

Zwingmann: Eine sichere und gesunde Arbeitswelt trägt entscheidend zur Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bei. Vielfältige Unternehmensbeispiele belegen, dass Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes einen Rückgang der Mitarbeiterfluktuation bewirken, die Prozess- und Produktqualität steigern und das Image eines Unternehmens verbessern. Schutz und Förderung der Gesundheit sind entscheidende Voraussetzungen für die Motivation und Kreativität der Beschäftigten. Dem „Faktor Mensch“, seiner Qualifikation wie auch der Qualität der Arbeit, kommt gerade für die hoch entwickelten Volkswirtschaften eine ausschlaggebende Bedeutung im internationalen Wettbewerb der Standorte zu. Durch eine effektive und effiziente Prävention können Lebensqualität, Mobilität und Leistungsfähigkeit der Menschen nachhaltig verbessert und ein großer Teil der sonst erforderlichen Krankheits- und Krankheitsfolgekosten verringert werden.

Arbeits- und Gesundheitsschutz kommt also nicht nur den Beschäftigten zugute. Auch die ökonomischen Potentiale der Prävention sind erheblich und müssen insbesondere vor dem Hintergrund der „alternden“ Gesellschaften in Europa deutlich besser ausgeschöpft werden.

Dies wird heute immer stärker auch für die Unternehmen selbst praktisch fühlbar.

Wie reagiert die Politik in dieser Situation?

Zwingmann: Aktiv wie schon lange nicht mehr. Zu nennen sind hier mit Blick auf die jetzt zu Ende gehende Legislaturperoide u. a. die nationale Demografiestrategie, das Präventionsgesetz, die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, das neu geschaffene Bundesteilhabegesetz, Programme zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, (Förder-)Programme zur humanen Gestaltung des digitalen Wandels, auch die genannten Aktivitäten für weltweit gute Arbeitsbedingungen und im weiteren Sinne ebenfalls Vorhaben wie die Einführung eines Mindestlohns.

Wie würden Sie die Rolle des Arbeits- und Gesundheitsschutzes derzeit beschreiben?

Zwingmann: In dieser insgesamt günstigen Gesamtsituation ist der Arbeits- und Gesundheitsschutz als dynamische, in die Unternehmensprozesse integrierte Disziplin anzusehen. Er kann sich heute in Deutschland, Europa und zu-nehmend auch weltweit auf eine hohe Sensibilität gegenüber Sicherheits- und Gesundheitsrisiken sowie eine positive ökonomische Argumentation stützen. Gegenläufige politische Tendenzen durch den Brexit und die neue Regierung in den USA bleiben indes abzuwarten.

Worauf freuen Sie sich besonders bei der A+A – im Kongress und bei der Messe?

 Zwingmann: Selbstverständlich liegen mir alle Themen und Veranstaltungen am Herzen. Besonders freue ich mich auf Angebote für „neue“ Zielgruppen wie die Ganztagesveranstaltung für die Schwerbehindertenvertretungen, die neue Reihe „Praxis interaktiv“ und ganz besonders freue ich mich auf den Freitag des A+A-Kongresses, wo Auszubildende, Studierende und insgesamt die nächste Generation im Arbeitsschutz das Bild der A+A und ihre Themen prägen.