Im Gespräch:
Belastungen gemeinsam meistern
Die erste Zwischenbilanz des Arbeitsprogramms Psyche der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) steht an – fünf Jahre haben die Akteure der Plattform von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern daran gearbeitet, den Erkrankungen durch psychische Belastungen auch der steigenden Zahl psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken. Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen. Andreas Horst, der im Bundesministerium für Arbeit (BMAS) für das Programm zuständig ist, stellt im Interview den Stand der Dinge vor und gibt einen Ausblick auf Ziele, die noch erreicht werden sollen.
Was ist für Sie ein zentraler Erfolg des Arbeitsprogramms Psyche?
Horst: Wir haben die wichtigen Akteure in der Arbeitswelt – von den Gewerkschaften bis zu den Arbeitgebern, den Aufsichtsdiensten der Länder und der Unfallversicherungsträger, die Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte – erreicht. Die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen hat sich gut entwickelt. Diese sind im Hinblick auf die Prävention von Erkrankungen aktiv in die Umsetzung des Arbeitsprogramms Psyche einbezogen. Das Programm ist in der Öffentlichkeit unter anderem durch das eigene Portal gda-psyche.de bekannt geworden. Wir haben Handlungshilfen wie die „Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung“ entwickelt, gute Praxisbeispiele identifiziert und verbreitet und letztendlich mehrere tausend (das Ziel sind letztlich 12 000) Betriebe hinsichtlich des Umgangs mit psychischen Belastungen überwacht und beraten.
Wie erreichten Sie eine so große Aufmerksamkeit?
Horst: Durch das Arbeitsprogramm ist es gelungen, klar zu machen, dass psychische Belastungen in der Arbeitswelt, zum Beispiel durch zu lange Arbeitszeiten, Schichtarbeit, hohe Arbeitsintensität, geringen Handlungsspielraum oder ungünstige soziale Beziehungen zu Kollegen und Kolleginnen sowie Vorgesetzten viele Folgen haben können. Im schlimmsten Fall können schwerwiegende Erkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen, Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems oder auch psychische Erkrankungen die Folge sein. In der Regel sind die Ursachen für diese Erkrankungen aber multifaktoriell. Es spielen auch die eigene Disposition und das persönliche Umfeld eine Rolle. Wir können daher den Erkrankungen nicht direkt die Belastungen in der Arbeitswelt als Ursache zuordnen.
Ach so?
Horst: Ja, das liegt daran, dass Belastungen nicht nur negativ gesehen werden können wie etwa Gefahrstoffe, die im Körper nichts zu suchen haben. Körperliche und psychische Belastungen gehören zu unserem Lebens- und Arbeitsalltag, sie können anregend wirken und uns dabei helfen, Fähig- und Fertigkeiten zu entwickeln und daher auch quasi als Herausforderungen gesehen werden. Deshalb dürfen wir keine pauschale Belastungsminimierung anstreben, sondern eine Belastungsoptimierung.
Aber es gibt doch Faktoren, die durchaus Erkrankungen nach sich ziehen können?
Horst: Natürlich, denken Sie nur an die Menschen die unter hohem Zeitdruck und mit wenig Handlungsspielraum arbeiten müssen. Oder die Probleme, die entstehen, wenn man sich konzentrieren muss, aber ständig unterbrochen wird oder hoch konzentriert in einer lauten Umgebung tätig ist. Das sind kritische Belastungsfaktoren, die es zu vermeiden gilt. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat gerade in einem großen Forschungsprojekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Wissenschaftliche Standortbestimmung“, dessen Ergebnisse im Mai 2017 auch im Beisein der beiden Sozialpartner vorgestellt worden sind, solche kritischen Belastungskonstellationen identifiziert. Es wurden Empfehlungen unterbreitet, wie den Gesundheitsrisiken durch diese Belastungskonstellationen begegnet werden kann. Die besondere Schwierigkeit besteht darin, dass wir für psychische Belastungen in kritischer Ausprägung oftmals keine Grenzwerte wie etwa bei Gefahrstoffen oder bei Lärm haben.
Wie kann man dennoch dagegen vorgehen?
Horst: Ein wichtiges Instrument ist die Gefährdungsbeurteilung, mit deren Hilfe sich nicht nur feststellen lässt, ob eine psychische Belastung vorliegt. Diese Belastung kann im konkreten betrieblichen Kontext bewertet werden. Darauf aufbauend werden dann Maßnahmen entwickelt, den gesundheitsgefährdenden Belastungen zu begegnen – so dass Krankheiten dadurch gar nicht erst entstehen.
Was sind die nächsten Ziele des Arbeitsprogramms?
Horst: Es muss auf jeden Fall nach 2018 fortgesetzt werden. Denn wir haben zwar einen Teil der Aufsichtspersonen in den Ländern sowie der betrieblichen Akteure im Umgang mit psychischen Belastungen qualifizieren können, doch das reicht noch nicht aus. Auch gilt es, Informationen und Handlungshilfen zu diesem Thema über unser Portal noch weiter zu verbreiten. Ziel muss sein, eine umfassende Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung in möglichst allen Betrieben Deutschlands zu erreichen. Hier werden uns auch die Ergebnisse des genannten BAuA-Projektes helfen. Das Bundesarbeitsministerium und beide Sozialpartner haben sich darauf verständigt, im Rahmen eines Dialogprozesses gemeinsam Schlussfolgerungen daraus zu ziehen und konkret zur Verbesserung der psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt aktiv zu werden. Dies bedeutet auch eine enorme Unterstützung für den GDA-Prozess. Vor allem kleinere Betriebe haben wir noch nicht genügend erreicht. Dort gilt es, den Sinn und Nutzen einer Gefährdungsbeurteilung zu vermitteln und den Bedürfnissen der Betriebe orientierte Instrumente zu entwickeln und zu verbreiten.
Gibt es noch weitere Zukunftsaufgaben?
Horst: Ja, dazu zählt auch die menschengerechte Gestaltung einer Arbeitswelt 4.0. Das BMAS hat dazu mit einem Grünbuch den Dialogprozess begonnen und mit einem Weißbuch zu einem vorläufigen Abschluss gebracht. Jetzt gilt es, auch durch einen Arbeitsschutz 4.0 die Umsetzung der Ergebnisse zu organisieren. Psychischen Belastungen kommt dabei neben vielen Chancen, die es zu ergreifen gilt, eine große Bedeutung zu. Dies bedeutet auch einen Arbeitsauftrag für das neue GDA Arbeitsprogramm.
Wichtig wäre es, dass Unfall-, Kranken- und Rentenversicherungen beim Umgang mit psychischen Belastungen in Prävention, Rehabilitation und Wiedereingliederung besser Hand in Hand arbeiten. So kann verhindert werden, dass Betroffene krank werden oder bleiben und dann zu früh in Rente gehen. In Zeiten demographischen Wandels können wir das uns gar nicht mehr erlauben. Wir sind uns mit den Sozialpartnern einig, dass es sich lohnt, in die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu investieren.
Mehr Informationen gibt es hier sowie auf der Basi-Seite zum Kongress 2017.