Im Gespräch:

Asbest, Kobalt & Co.: Die Gefahr ins Bewusstsein rücken

Während das Rauchen inzwischen fast überall verpönt ist, sind viele Menschen an ihrem Arbeitsplatz immer noch häufig ungeschützt krebserzeugenden Gefahrstoffen wie Kobalt oder Asbest ausgesetzt. Das stimmt Dr. Michael Au vom Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) bedenklich – denn die Zahl der tödlich verlaufenden Berufserkrankungen, die sich durch den Umgang mit diesen Gefahrstoffen entwickeln, ist unvermindert hoch. „Mehr als 55 Prozent aller tödlich verlaufenden Berufskrankheiten in Deutschland sind Krebserkrankungen. Und die Hauptursache für diese Erkrankungen sind Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen“, sagt Dr. Au, der beim A+A Kongress 2017 gemeinsam mit Referenten, Kollegen und dem Publikum in der Veranstaltung zum Thema „Kampf dem Krebs am Arbeitsplatz!“ Gegenmaßnahmen besprach. Im Basi-Interview erklärt der Experte wichtige Aspekte der Diskussion.

Welche Gefahrstoffe sind besonders bedeutsam für das Entstehen von Krebserkrankungen?

Au: Wir sehen, dass neben Quarzstaub, der auf vielen Baustellen in der Luft liegt, Asbest bis heute die Ursache für einen Großteil von Berufserkrankungen ist. So werden jedes Jahr mehr als 3000 durch Asbestfasern ausgelöste Neuerkrankungen registriert und es ist zu befürchten, dass viele von ihnen einen tödlichen Verlauf nehmen können. Eine große Anzahl dieser Erkrankungen haben ihre Ursachen in der Vergangenheit, als Asbest ganz legal noch in vielfältiger Form eingesetzt wurde und als „Mineral der 1000 Möglichkeiten“ galt. Seit 1993 besteht in Deutschland ein generelles Herstellungs- und Verwendungsverbot für Asbest. Doch auch nach diesem Datum sind Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten an asbesthaltigen Gebäuden und Anlagen erforderlich. Das liegt daran, dass viele jüngere Arbeitnehmer, die die „Asbestzeit“ nicht mehr kennengelernt und sich bisher nicht mehr mit den Risiken dieses Stoffes befasst haben. Sie sehen sich nun mit einer für sie neuen Gefährdung konfrontiert, wenn man Gebäude der 1950er bis 1970er Jahre renoviert oder saniert und dabei Asbestfasern freigesetzt werden. Asbest kann aber auch in Bauprodukten wie in Spachtelmassen oder Klebern aus dieser Zeit enthalten sein, die damals ebenfalls in den Innenräumen verwendet wurden. Dazu gab es Hinweise beim Nationalen Asbestdialog, den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales initiiert hat – und wir wollen nun eine grundlegende Strategie entwickeln, die einen sicheren Schutz der Beschäftigten vor solchen Schadstoffen ermöglicht. Dazu zählen auch krebserzeugende Schwermetalle wie Nickel, Kobalt oder Chrom-VI. Kobalt wird in den Schaltungen von elektronischen Geräten und für viele Werkzeuge verarbeitet, und Chrom-VI spielt eine große Rolle bei der Oberflächenbeschichtung. Das tatsächliche Risikopotenzial dieser Stoffe ist aber erst in den letzten Jahren bekannt geworden. Damit müssen wir uns als Arbeitsschützer jetzt intensiver befassen.

Die Aufsichtsbehörden in Hessen und Thüringen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen haben damit begonnen, gezielt Arbeitsplätze zu überprüfen, an denen Beschäftigte Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen ausführen. Wie sehen erste Ergebnisse aus?

Au: In einer Pilotphase wurden vor Ort Arbeitsplätze im industriellen oder gewerblichen Bereich untersucht, also zum Beispiel in Schreinereien oder in Unternehmen, die Heizöltanks reinigen. Dabei stellte sich heraus, dass mehr als die Hälfte der Betriebe im Umgang mit Benzol oder Holzstäuben nicht die vorgeschriebenen Grenzwerte einhalten.

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Au: Ein Großteil der Unternehmen führt kein Verzeichnis über ihre Beschäftigten, die mit einem krebserzeugenden Gefahrstoff wie zum Beispiel Benzol gearbeitet haben. Auch die erforderliche arbeitsmedizinische Vorsorge wird viel zu selten durchgeführt. Das ist bedenklich – denn schlimmstenfalls müssen diese Menschen nicht nur mit einer Krankheit kämpfen, sondern auch darum, dass diese als Berufskrankheit anerkannt wird. Dabei hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) ein sehr sinnvolles Portal (die ZED-Datenbank wird am 18.10. um 14.20 Uhr auf der Bühne Trendforum Safety & Security in Halle 11 vorgestellt) eingerichtet, mit dessen Hilfe  Betriebe ein systematisches Expositionsverzeichnis digital führen und nachweisen können, wo, wann und wie lange ihre Beschäftigten mit Gefahrstoffen umgegangen sind.

Wie können nächste Schritte im Kampf gegen den Berufskrebs in Deutschland aussehen?

Au: Wir haben in Deutschland in dieser Hinsicht zwar ein wirklich gutes technisches Regelwerk für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, doch es wird in der Praxis zu wenig angewendet. Deshalb ist es wichtig, aktiv auf die Gefahren krebserzeugender Stoffe aufmerksam zu machen und gezielt in einer Kampagne darauf hinzuweisen, dass dadurch ein Großteil der tödlich verlaufenden Berufskrankheiten entsteht – zum Teil erst Jahrzehnte, nachdem Beschäftigte mit dem Gefahrstoff in Berührung gekommen sind.

In diesem Zusammenhang müssen sich auch die Aufsichtsdienste mehr mit diesem Thema befassen und fragen: Wo sind Beschäftigte Expositionen durch krebserzeugende Gefahrstoffe ausgesetzt? Sind die Mitarbeiter ausreichend geschützt? Wird ein Expositionsverzeichnis geführt? Eine frühzeitige Prävention ist der Schlüssel zum erfolgreichen Kampf gegen den Berufskrebs. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, zu untersuchen, ob und wie bestimmte Gefahrstoffe in den Betrieben durch andere, ungefährliche Substanzen ersetzt werden können.

Welche Diskussionspunkte standen für Sie bei der A+A 2017 im Vordergrund?

Au: Es freut mich, dass wir bei der A+A 2017 darstellen konnten, dass die Europäische Union den Schutz vor krebserzeugenden Gefahrstoffen am Arbeitsplatz als ein zentrales Problem erkannt hat, das alle Länder angeht – und dazu die ,roadmap on carcinogens‘ entwickelt hat. Hier zeigt sich die europäische Zusammenarbeit in bestem Licht. Für uns bedeutet dies: Auch wir als deutsche Arbeitsschützer können uns in diese europäische Initiative einbringen. In Deutschland verfügen viele Betriebe über große Erfahrungen beim Schutz ihrer Beschäftigten vor krebserzeugenden mit Gefahrstoffen oder bei deren Substitution. Dieses Wissen gilt es in Deutschland und in Europa zu vermitteln und zu verbreiten, um den Berufskrebs zurück zu drängen. Wir haben in Hessen auf unsere Untersuchungen an Arbeitsplätzen unter dem Titel „Kampf dem Krebs am Arbeitsplatz“ schon viel Resonanz bekommen: Betriebe sind sensibilisiert und versuchen, auf Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen zu verzichten. Andere optimieren ihre Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten. Grundsätzlich gilt: Die Bekämpfung des Berufskrebses ist eine zentrale Herausforderung für den Arbeitsschutz im 21. Jahrhundert. Wir müssen uns dieser Herausforderung stellen – in Deutschland und in Europa. Eine gemeinsame europäische und deutsche Schwerpunktsetzung des Arbeitsschutzes muss deshalb den Schutz der Beschäftigten vor krebserzeugenden Gefahrstoffen am Arbeitsplatz in den Mittelpunkt stellen.